7. Praxiserfahrungen
Die Praxiserfahrungen im Bereich der Systemaufstellungen erstrecken sich auf verschiedene theoretische Ansätze und praktische Bereiche. Wir möchten versuchen, einen kurzen Überblick über positive als auch negative Erfahrungen mit der Praxis der Systemaufstellungen zu geben, der sich in seiner Bandbreite an der Differenziertheit der verschiedenen Aufstellungsarten orientiert.
7.1 Familienstellen nach Bert Hellinger
Bert Hellinger lässt sich als Begründer der Familienaufstellung bezeichnen. Neben der Anerkennung seiner ersten Entwicklungen und Erfolge, die er für die Methode der Aufstellung im Allgemeinen erzielte, häuft sich in der letzten Zeit vor allem die Kritik an seiner derzeitigen Arbeit und an deren Folgen. Viele Kollegen befürchten, dass der Bereich der systemischen Beratung und Therapie durch Hellingers Methoden in Verruf geraten könnte oder schon geraten ist. Neben dieser Sorge steht auch das Wohl des Klienten im Vordergrund, dass bei einer Familienaufstellung nach Bert Hellinger nicht immer gewährleistet zu sein scheint. Bereits 2002 erschien die „Stellungnahme der Systemischen Gesellschaft zur Aufstellungsarbeit nach Bert Hellinger“ mit dem Fazit, dass es sich bei Hellingers Aufstellungen in keinem Fall um eine Methode der systemischen Therapie handeln kann. Diese Stellungnahme lässt sich als Reaktion auf eine vorangegangene Verwirrung in der Therapie- und Beratungslandschaft verstehen und diente der Aufklärung über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen dem Familienstellen und den systemischen Aufstellungen.
(Vgl. http://www.systemische-gesellschaft.de/aktuell/stell.html)
Im Juli 2004 wurde die „Potsdamer Erklärung zur systemischen Aufstellungsarbeit“ veröffentlicht, die der Distanzierung der systemisch arbeitenden Berater und Therapeuten von Bert Hellinger dient. Die Erklärung geht detailliert auf einzelne Kritikpunkte ein, welche sich nicht mit den systemischen Grundprinzipien vereinbaren lassen, wie beispielsweise „die Verwendung mystifizierender und selbstimmunisierender Beschreibungen … die Nutzung uneingeschränkt generalisierender Formulierungen und dogmatischer Deutungen … der Einsatz potentiell demütigender Interventionen und Unterwerfungsrituale … die angeblich zwingende Verknüpfung der Interventionen mit bestimmten Formen des Menschen und Weltbildes (etwa im Bezug auf Genderfragen, Elternschaft, Binationalität u. a.) … die Vorstellung, über eine Wahrheit verfügen zu können, an der eine Person mehr teilhaftig ist als eine andere …“ (http://www.syst-strukturaufstellungen.de/index.php)
Die Kritik macht deutlich, dass es sich bei dieser Methode um eine für sowohl für den Berufsstand der systemischen Therapeuten als auch für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Klienten äußerst problematische und auch gefährliche Vorgehensweise handelt. Der Klient wird auf eine entwürdigende Weise mit so genannten „Tatsachen“ konfrontiert, welche ausschließlich auf der Sichtweise des Aufstellungsleiters beruhen und von diesem aus zweifelhaften und wissenschaftlich nicht belegbaren Grundannahmen hergeleitet werden. Die Vernachlässigung der Vor- und Nachbereitung der Aufstellung stellt ein fahrlässiges Verhalten seitens des Aufstellers dar, da der Klient mit seinen in der Aufstellung gewonnen „Erkenntnissen“ und deren Bewältigung alleingelassen wird, ohne dass eine professionelle Aufarbeitung sichergestellt wird.
Neben dieser Reihe von Kritikpunkten an Bert Hellingers Vorgehensweise stellt die Erklärung ebenso klar, dass es neben dieser Art der Aufstellung eine systemisch-konstruktivistische Aufstellungsarbeit gibt. Diese unterscheidet sich von der erstgenannten in den oben aufgeführten Punkten und sollte folglich differenziert betrachtet und bewertet werden, um ihren Möglichkeiten und Verdiensten im Bereich der Beratung und Therapie gerecht werden zu können (vgl. http://www.syst-strukturaufstellungen.de/index.php).
Die kontroverse Diskussion der beiden Ansätze hat sowohl zu einer Verwirrung in der therapeutischen und beraterischen Landschaft als auch bei den Klienten geführt. Der Begriff der Aufstellung wird heute in verschiedenen Kontexten genutzt und auch die Qualifikation des Aufstellers lässt sich mangels einer einheitlichen Ausbildung nur schwer beurteilen. Die undurchsichtige Entwicklung der theoretischen Ansätze führt zu einem regelrechten Wildwuchs an Angeboten, der es dem Laien nahezu unmöglich macht, zwischen systemisch-konstruktivistischer Beratung oder Therapie und esoterisch anmutenden „Gurutum“ zu unterscheiden. Die Potsdamer Erklärung, welche von vielen seriösen Aufstellern unterschrieben wurde, kann als ein Orientierungspunkt im unübersichtlichen und verwirrenden Dschungel der Möglichkeiten gesehen werden. Darüber hinaus bleibt dem Klienten nur die Möglichkeit der eingehenden Überprüfung der Literatur zum Thema Aufstellung, der Qualifikation des Aufstellers als auch der persönlichen Erwartungen, die an die Aufstellung gestellt werden.
7.2 Organisationsberatung
In der Organisationsberatung kommen vornehmlich Systemische Strukturaufstellungen zum Einsatz, welche neben Konflikten im zwischenmenschlichen Bereich auch abstrakte Sachverhalte zum Thema haben und – durch die Möglichkeit zum verdeckten Arbeiten – die Privatsphäre der Klienten schützen.
Im Internet lassen sich einige Erfahrungen aus dem Bereich der Systemaufstellungen in Organisationen finden. Doris Landauer z.B. arbeitet als Trainerin und Coach in Österreich und absolvierte ihre Ausbildung am Institut für systemische Ausbildung, Fortbildung und Forschung in München bei Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd. Sie berichtet von verschiedenen erfolgreich von ihr durchgeführten Systemaufstellungen, unter anderem in einem Familienbetrieb, einem internationalen Chemiekonzern oder einer Bank (vgl. http://www.aufstellungen.at/organisationsberatung.htm).
Diese Erfahrungen zeigen auf, dass Systemaufstellungen eine vielseitige Methode sind, die sowohl in kleinen als auch großen Unternehmen mit unterschiedlichen Ansprüchen angewandt werden können. Die Themen der Aufstellung erstrecken sich über interne Angelegenheiten, die das Betriebsklima betreffen bis hin zu Entscheidungsfindungen hinsichtlich der Personals oder der Produkte.
Klaus P. Horn und Regine Brick arbeiten als systemische Berater und Trainer in Unternehmen. Über ihre Erfahrungen mit Systemaufstellungen berichten sie in zwei Büchern. In den praxisorientierten Büchern „Organisationsaufstellung und systemisches Coaching“ und „Das verborgene Netzwerk der Macht“ werden dem Leser anhand von Praxisbeispielen mögliche Themen und Aufstellungsarten erläutert. Die Bücher zeigen den Erfolg der Systemaufstellung bei der Lösung von Problemen in Unternehmen auf und bieten dem Skeptiker einen ersten Einblick in die Praxis.
Im Bereich der Organisationsberatung muss sich der Berater darauf einstellen, seine Methode zunächst von der momentan auch in den Medien sehr hervorgehobenen und kritisierten Arbeit Bert Hellingers abzugrenzen, um eine Verwechslung zu vermeiden und eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen zu können.
7.3 Schule
Systemaufstellungen werden im schulischen Bereich bisher nur wenig im Unterricht eingesetzt, sondern finden ihren Einsatz vorrangig in der Schulpsychologie. In letzter Zeit lassen sich allerdings Tendenzen einer verbreiterten Akzeptanz der Systemischen Beratung in der Lehrerschaft beobachten. Neben der Veröffentlichung einschlägiger Literatur wird auch das Fort- und Weiterbildungsangebot beständig erweitert. So wird es voraussichtlich nur eine Frage der Zeit sein, bis die Systemaufstellungen ihren Weg in den Unterricht finden, wo sie sowohl zur Klärung von Problemen auf der Beziehungsseite als auch zur Konstruktion neuer Inhalte (beispielsweise zum Verständnis von Beziehungen in der Geschichte oder in der Literatur) genutzt werden können.
Bis dieser Durchbruch erfolgreich vollzogen sein wird, müssen die verfügbare Literatur und weitere Weiterbildungsangebote beständig auf ihre Qualität und den zugrunde liegenden pädagogischen Ansatz überprüft werden, um Methoden, die sich der Hellingerschen Tradition verschrieben haben, den Zugang in diesen Praxisbereich zu verwehren. Ein großer Teil der derzeitigen Literatur wird unter dem Namen der systemischen Beratung veröffentlicht, entspricht aber nicht hinreichend den systemisch-konstruktivistischen Prinzipien (vgl. dazu Döring-Meijer 2004, S. 255 ff). Dies führt zu großer Unsicherheit und Verwirrung in der Praxis, da eine Orientierung unter den momentanen Bedingungen kaum möglich ist.
7.4 Ausblick
Zum heutigen Zeitpunkt befinden sich die Systemaufstellungen an einem Punkt, der für die Zukunft hoffen lässt. Aufstellungen haben den Weg in die Beratung und Therapie gefunden und beginnen sich auch im Bereich der Organisationsberatung und Schule zu etablieren. Doch dieses Bild sollte mit Vorsicht genossen werden: Nicht alle Angebote entsprechen den systemischen Grundannahmen, nicht jeder Aufsteller verfügt über eine entsprechende Ausbildung. Doch die Diskussion wird weiter geführt und die Systemaufstellungen stehen wie nie zuvor im Mittelpunkt des Interesses. Für die Zukunft bleibt zu hoffen, dass sich durch diesen Diskurs ein klareres Verständnis von Aufstellungen entwickeln kann. Dieses wird im besten Fall die Zeit der Unsicherheit im Kreis der Klienten, welche durch eine unübersichtliche Zahl an Mischformen und unzureichende Literatur hervorgerufen wird, beenden. Die Systemaufstellungen könnten durch diese Akzeptanz ein neues Selbstverständnis entwickeln, welches den Rahmen für systemisch und konstruktivistisch geprägte Weiterentwicklungen bildet.
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