Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

3. Theoretische und praktische Begründung

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3.1. Theoretische Begründung

Die Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode. Der Mensch soll durch diese Methode die Chance erhalten, in einer Gruppe oder auf sich selbst gestellt seine Fähigkeiten und Qualitäten in Erlebnissituationen einzubringen und dabei seine Schwächen herauszufinden und aktiv an ihnen zu arbeiten.

Wann wird eine Situation zu einem Erlebnis? Wir erleben den ganzen Tag lang Dinge, doch scheint ein Erlebnis für uns noch einen ganz besonderen Stellenwert zu haben.

Eine mögliche Definition von Erleben lautet so: Erleben ist etwas Subjektives. Es ist ein inneres Erleben von etwas. Ich erlebe es dann intensiv, wenn es eine Bedeutung oder einen Sinn für mich hat. Dies können bewusste, aber auch eher unbewusste Vorgänge – z.B. Wünsche – sein. In Reichs „Konstruktivistischer Didaktik“ können dies vor allem sinnliche Erlebnisse sein, d.h. sinnlich gewiss erfahrene Ereignisse, die situativ, vor Ort, direkt, unmittelbar stattfinden. Dies sind Erfahrungen, die daraufhin vielleicht konventionell gedeutet werden oder Anlass für Reflexionen sind.

Der erlebnisorientierte Pädagoge oder Therapeut ist dazu da, ein Erlebnis einzuleiten und für bestimmte Rahmenbedingungen zu sorgen, die den Teilnehmer überhaupt Erlebnisse ermöglichen und ihn dann bei seinem Lernprozess unterstützen. Werden Lernvorgänge angestrebt, dann ist es immer angebracht, eine Reflexion vorzunehmen, damit die Erfahrungen zu Einsichten und Erkenntnissen werden können.

Erlebnispädagogik hat einen schwierigen theoretischen Hintergrund. Schon Rousseau (1712-1778) betrachtete Handeln, Erleben und Erfahren als wichtige Voraussetzungen des Lernprozesses. Durch das aus Neugier und Bewegungsdrang resultierende Handeln soll das Kind mit selbst verantworteten Ereignissen konfrontiert werden. Vor allem die Natur oder Sachen sollen so zu eigentlichen Erziehern werden. Aber es bleibt die kritische Frage, ob der Erzieher nicht Situationen so manipuliert und beeinflusst, um seine Sicht der Dinge durchzusetzen.

Henry David Thoreau (1817- 1862), ein Philosoph, Pädagoge, Naturmensch und Einzelgänger, zog für zweieinhalb Jahre in eine Blockhütte am Ufer eines Waldteiches in Concord, Massachusetts. Sein bewusster Rückzug aus der Gesellschaft hatte zwei bedeutende Gründe: Er kritisierte die gesellschaftliche Situation sehr scharf, warf den Menschen vor, ihre Zeit mit zu harten und groben Arbeiten zu verschwenden, um bloß Geld anzuhäufen, was sie letztendlich davon abhielte, sich weiterzuentwickeln und ihre „edleren Früchte“ zu ernten. Außerdem erkrankte er nach dem Tod seines Bruders an einer Depression und suchte auf diesem Wege nach Heilung. In seinem Erfahrungsbericht „Walden oder leben in den Wäldern“ hält er die wichtigsten Erlebnisse und Gedanken seines Experiments fest.

Er war der Überzeugung, der Mensch lernt sich am besten kennen, wenn er alleine ist und an seine existenziellen Grenzen kommt. Somit sah er die Natur als die größte Erzieherin der Menschen an. Laut Thoreau kann, wer sich außerhalb seines seelischen Gleichgewichts befindet, nicht alleine sein. Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie sind ständig auf der Suche nach Gesellschaft, selbst wenn sie sich in dieser einsamer fühlen als alleine (vgl. Thoreau 1971, 140).

Thoreaus Thesen sind grundlegend für die Erlebnispädagogik – im annehmenden oder ablehnenden Sinne – geworden. Er will zeigen, wie sehr sich ein Erlebnis – als eine Auszeit vom gewohnten sozialen Umfeld und den alltäglichen Verpflichtungen – als innerer Perspektiv­wechsel bemerkbar machen kann. Man nimmt sich ganz anders wahr, stößt an seine Grenzen, das Leben wird existenzieller und dadurch bewusster. Diese Annahme teilen fast alle Erlebnis­pädagogen. Dabei ist jedoch ein soziales Defizit in diesen Ausstiegsversuchen zu erkennen, denn sie zielen auf individuelle Grenzerfahrungen, in denen der Andere gerne und schnell übersehen bleibt. Im Unterschied zu Rousseau, dessen individualisierendes Beispiel des Emile zugleich mit dem Contrat Social als ein Bekenntnis zu einer solidarisch ausgerichteten Gesellschaft mit Begrenzungen des individuellen Eigentums und wechselseitiger Bereicherung publiziert wurde, ist Thoureaus Walden ein romantisierender Versuch der Mystifizierung des Subjekts. Später hat der Konditionierungspsychologie Skinner in seinem Buch Walden II zwar das Soziale in diesen Naturzustand wieder eingeführt, aber es auf eine Spekulation einer allumfassenden Konditionierung eines in allen sozialen Bezügen richtig erzogenen Individuums bezogen, das eine Art Abbild einer idealisierten kleinbürgerlichen amerikanischen Gesellschaft sein sollte. Dagegen nehmen Orwells 1984 und Huxleys Brave New World einen kritischen Standpunkt ein, der das Individuelle verschränkt mit dem Sozialen zeigt. Und genau diese Verschränkung fehlt vielen erlebnispädagogischen Deutungen, weil sie sich zu sehr auf den eigentlichen Akt eines Erlebnisses beschränken wollen und dabei schnell in Kontextvergessenheit geraten.

Der Reformpädagoge Kurt Hahn (1886- 1974), der als ein Begründer der Erlebnispädagogik gilt, führte den Begriff der Erlebnistherapie ein, was auf eine tiefgehende und umfassende Bedeutung des Erlebnisbegriffs hinweisen sollte. Aber auch hier wird ein spekulatives Weltbild errichtet, das einer tiefgehenden Auseinandersetzung mit therapeutischen Arbeiten aus dem Wege geht. Im Grunde wird keine Therapie beschrieben, sondern eine Erwartung an bestimmte Erlebnisse formuliert und als sinnvoll postuliert. Die Anknüpfung an Rousseaus Subjektposition des Kindes und die Betonung einer Eigenwelt des Kindes schien schon hinreichender Garant, gegen scheinbar willkürliche Forderungen der Erwachsenenwelt gegen das Kind zu streiten. In diesem Streit wird dann gerne auf eine ursprüngliche Natur zurückgegriffen, und es wird nicht hinreichend erkannt, dass dieser Rückgriff selbst ein bestimmtes Konstrukt aus der Erwachsenenwelt ist.

Hahn realisierte seine pädagogischen Vorstellungen mit der Gründung der Internatschule Salem in den 20er Jahren. Seine Motivation und Antriebskraft entsprang wie bei Thoreau einer starken gesellschaftlichen Kritik, die „natürlich“ fundiert wurde. „Ich glaube mit Plato an die Macht der Erziehung. Die lockenden Versuchungen sind unvermeidlich ... die unziemliche Hast und die verwirrende Rastlosigkeit der modernen Umwelt ... Schulen haben heute die Pflicht, ihre Verantwortung zu erweitern und zu vertiefen. Es ist an ihnen, zu heilen und zu schützen … Es handelt sich darum, eine Umgebung zu schaffen, die heilsame Antriebe vermittelt … Antriebe zur Selbstzucht, Antriebe zur Selbsthilfe und zum Dienst am Nächsten. Ich empfehle die Einführung einer vorbeugenden Kur, der Erlebnistherapie“ (Hahn 1998, 151 ff.).

Sieht man auf die pragmatische Realisation dieser „Kur“, dann werden ganz bestimmte pädagogische Normen erkennbar. Die sieben Salemer Gesetze können dabei als die ersten theoretischen Ansätze der Erlebnistherapie gelten, die kurz gefasst das Erziehungskonzept der Salemer Schule widerspiegeln:

  1. Gebt den Kindern die Gelegenheit sich selbst zu entdecken.
  2. Laßt die Kinder Triumph und Niederlage erleben.
  3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache.
  4. Sorgt für Zeiten der Stille.
  5. Übt die Phantasie.
  6. Laßt Spiele eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen.
  7. Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit.

Diese Konstrukte sind keineswegs rein erlebnisorientiert, sondern auch konventionell, normativ und auf eine Gemeinschaft aus, die als stiller und unhinterfragter Hintergrund politisch ausdeutbar ist. Solche Ausdeutungen haben in den politischen Gruppierungen von links bis rechts gewirkt und in der Erlebnisdeutung der Nazis ihren reaktionärsten Austragungsort gefunden. Erlebnisse, so zeigte die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, sind hochgradig instrumentalisierbar. In der „Hitlerjugend“, den „Bund deutscher Mädel“, der Bewegung „Kraft durch Freude“ und anderen politischen Gruppenaktivitäten wurden sowohl Erlebnisse als auch Gedanken der Gemeinschaftserziehung in ein schlechtes Licht gerückt, aus dem sie bis heute in Deutschland nur mühsam wieder heraustreten können. Nach 1945 ging Deutschland dann auch noch in seiner Schulpolitik den fatalen und sich heute als besonders negativ herausstellenden Weg einer dreigliedrigen Schule, die ihren Blick mehr auf die Klassenteilung des 19. Jahrhunderts richtete und weniger zukunftsoptimistisch auf eine Integration heterogener Lerngruppen als Erleben einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig hilft, orientiert war. Die Ablehnung einer umfassenden Idee von community in Westdeutschland war zugleich eine Ablehnung sozialer Erlebnisse, die auf soziale Integration, Multikulturalität, Lernerheterogenität hinauslief und die heute Deutschland als ein Land erscheinen lässt, das insbesondere schwächere Schüler aus sozial schwächeren Familien in eine verlorene Generation mit dequalifiziertem Ausbildungsstand verwandelt. In einer solchen Schulkultur ist immer noch wenig Raum für gemeinsame soziale Erlebnisse. Insoweit verwundert es nicht, dass gerade in der Jugendarbeit deshalb für diese Defizite ein Ausgleich gesucht wird. Aber dies scheint uns auf Dauer nicht hinreichend zu sein, wenn Deutschland im internationalen Vergleich nicht stetig weiter nach unten in seinem Bildungspotenzial rutschen will.

Nach 1945 litt die Erlebnispädagogik vor allem unter dem Leistungsdruck an Schulen, einer Verkopfungsstrategie in den Bildungskonzepten, den die damaligen Stundenpläne als eine Lösung in Wissen und Bildungsbeflissenheit ausdrückten. Erlebnisse waren hier kaum geduldet und sie erregen bis heute bei der Lehrerschaft eher Skepsis als Vertrauen. Dies führte in der deutschen Schule leider auch zu einer methodischen Verarmung des Unterrichts, der vor allem für die Sekundarstufe zu beklagen ist. Dort, wo in der Grundschule noch stärker auch erlebnisorientierte Methoden z.B. aus der Freinet- oder Waldorf-Pädagogik wirken, verarmt der fachlehrerbezogene Unterricht der Sekundarstufe auf ein erlebnispädagogisches Minimum, auch wenn einzelne Lehrende oder besondere Versuchsschulen gerade hier gegenzusteuern sich bemühen.

Eine der besonderen Qualitäten der Erlebnispädagogik war und ist deshalb ihre Stellung als Alternative außerhalb pädagogischer Institutionen. Hier wurde ihr dadurch vermehrt eine sozialtherapeutische Rolle zuteil, die besonders mit dem zunehmenden Sozial-Abbau, wachsender Arbeitslosigkeit und dem Auseinanderbrechen von Familien an Relevanz gewinnt.

Heute wird die Erlebnispädagogik wegen der bestehenden Tendenz, die Angebote der freien Natur zu nutzen, auch oft als Outdoor-Pädagogik bezeichnet. Diese Bezeichnung trifft nur einen Teil von dem, was Erlebnispädagogik eigentlich ausmacht, da sie auch auf kulturelle, künstlerische oder sogar technische Bereiche zielen kann. Wir würden sogar im Anschluss an Reich und seine didaktischen Handlungsstufen (sinnliche Gewissheit, Konventionen und Diskurse) davon ausgehen, dass Erlebnisse in jeder Didaktik und in jedem Unterricht einen gewissen Raum einnehmen könnten und sollten. Eine solche „Erlebnispädagogik im Kleinen“ sollte zum Ziel haben, die ab­strakten Konstruktionen von Welt nicht allein aus sich heraus zu begründen, sondern eine Vermittlung mit Erfahrungen in Situationen und Erlebnissen zu suchen, um im Einzelfall zu prüfen, ob und wie wir Verallgemeinerungen über unser Leben auch tatsächlich erleben können. Für den Konstruktivismus ist dies eine Viabilitätsprüfung von Konstruktionen (= Wie passend sind solche Konstruktionen im Blick auf meine Erlebnisse?)

Ein sehr wichtiger Punkt ist hierbei, dass die Erlebnispädagogik von der Praxis lebt. Sie lebt von ihren Teilnehmern als selbstständige Gestalter ihrer Lernbedingungen und somit von Lernerfahrungen und der Erkenntnis, dass Lernen einfach geschehen kann und Spaß macht, also nicht mit einer zwanghaften „Paukerei“ verbunden sein muss.

 


3.2. Praktische Begründung

Anhand der sieben Salemer Gesetze möchten wir eine praktische Begründung der Erlebnispädagogik diskutieren und um Aspekte erlebnispädagogischer Aktivitäten aus der Perspektive der Gegenwart erweitern:

(1) Die heutige Umwelt scheint voller Abenteuer und Erlebnisse zu sein, zumindest werben viele Produkthersteller mit dem Versprechen, dass uns mit Konsumgütern, z.B. diesem Film oder jenem Auto, ein einmaliges und spannendes Erlebnis zuteil wird. Dabei ist solches Erleben bereits in eine Simulation verwandelt. Uns wird auf „den gesellschaftlich üblichen kommerziellen, materiellen und äußerlichen Ebenen Ersatzbefriedigung angeboten“ (Bauer in: www.zugvogel-org.de/ep/ep_afet2.html). Bildlich gesprochen nimmt die Zahl der Fernsehkanäle zu und die Zahl der Aufnahmekanäle für unsere natürliche Umwelt ab. Es fehlt an wirklichen Erlebnissen, die Kinder (Jugendliche, Erwachsene, Senioren) aus ihrem gewohnten Umfeld herausnehmen und ihnen die Chance geben, fernab ihrer gewöhnlichen Bezugspersonen, alltäglichen Verpflichtungen und sozialen Rollen, eine neue Seite und Qualität an sich zu entdecken. Die Erlebnispädagogik bietet die Möglichkeit, die eigene Passivität zu durchbrechen und durch Kreativität neue Handlungsperspektiven zu schaffen.

So wichtig dieser Grundsatz auf den ersten Blick auch scheint, so möchten wir ihn relativieren. Wir wollen darauf aufmerksam machen, dass die alltägliche Welt und die tollen Erlebnisse nicht hinreichend getrennt werden können und sollten. Eine solche Trennung trifft unsere Lebenswelt heute keinesfalls mehr, denn die Erlebnisse drängen gerade in ihrer Vermittlung über die Massenmedien stark in den Alltag hinein. Wir haben unsere Kultur in eine Multioptionsgesellschaft und dabei gleichzeitig in eine Erlebnisgesellschaft verwandelt. Erlebnisse sind zu einem ekstatischen Konsumgut geworden, in dem Realität und Fiktion miteinander immer ununterscheidbarer gemischt werden. Dies kann und darf die Erlebnispädagogik nicht ignorieren. Sie darf sich nicht auf den Standpunkt einer bloß naturbezogenen Erlebnishaftigkeit dort draußen reduzieren, und die Erlebnisse hier drinnen unkritisch dem Konsumenten überlassen. Vielmehr muss sie diesen Wandel untersuchen und Gegenkonzepte insbesondere in den Medien selbst suchen, um nicht in reaktionäre Romantik zurückzufallen.

(2) Es sollte die Möglichkeit bestehen, die eigenen Schwächen und Stärken kennen zu lernen. Es ist wichtig, Grenzen zu erfahren, um über diese hinausgehen zu können und Situationen erfolg­reich zu meistern, an denen man gedanklich vielleicht vorher zweifelte. Jedoch sollte von der „Erwartungshaltung Erfolg“ abgesehen werden. Wenn sich ein positives Feedback einstellt, ist es gut, wenn nicht, ist auch etwas gelernt worden. Das Ziel ist die Balance zwischen gewinnen wollen und verlieren können.

Dieser Grundsatz wird heute von der konstruktivistischen Pädagogik präzisiert. Reich spricht davon, dass der Besserwisser als Lehrkraft und Pädagoge ausgedient hat, aber dass er in der Regel als eine Art Mehrwisser, als ein Anbieter von Wissen, Lernarrangements und Konstruktionen erscheint, die mit dem Erleben der Lerner in Bezug zu setzen sind. Hier ist keine Erwartungshaltung „Misserfolg ist gut“ gemeint, aber der Pädagoge sollte sich stets der Grenzen von Instruktionen bewusst sein. Er sollte aber auch um die Stärken gemeinsamen Konstruierens und die Suche von Kindern und Jugendlichen nach einem Sinn der Versionen von Welt wissen, um seinen Unterricht oder eine pädagogische Praxis erlebnisnah und als Grenzerfahrung zu praktizieren.

(3) Selbsthingabe an die Gruppe heißt auch für andere Gruppenmitglieder Verantwortung zu übernehmen. Es können ruhig sehr verantwortungsvolle Aufgaben sein, die der einzelne übernimmt, so dass jeder Teilnehmer ein Gefühl von Wichtigkeit bekommt und am Gruppen­prozess teilnimmt. Ein gutes Beispiel hierfür sind Bildungseinrichtungen wie die von Kurt Hahn gegründeten Outward Bound Schulen. „Outward Bound ist ein Begriff aus der englischen Seefahrt und bedeutet: Ein Schiff kann – zu großer Fahrt gerüstet – auslaufen“ (Hahn 1998, 273). Hier werden in einmonatigen Kursen Jugendliche in Projekte eingebunden, die die Ausdauer trainieren, sie für Expeditionen schulen und im Seehandwerk (weiter)bilden. Außerdem werden sie auf den Dienst am Nächsten vorbereitet, indem ihnen Übungen der Feuer-, Berg- und Seenotrettungsdienste näher gebracht werden.
Es muss nicht gleich eine Tätigkeit in der Bergwacht sein, aber es ist für Kinder und Jugendliche eine sehr wert- und sinnvolle Erfahrung, anderen Menschen selbstlos zu helfen. Gerade in einer Zeit der Identitätsfindung und Neuorientierung des Kindes- und Jugendalters, in der sich die Frage nach der eigenen Aufgabe in der Gesellschaft stellt, ist es wichtig Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. H.G. Bauer beschreibt diesen Prozess als Sinnsuche. „Und: immer erkennbarer wird, daß dann wenn bei dieser Suche lediglich Ersatz gefunden werden kann oder die Suche selbst ersetzt oder verhindert wird Sucht entsteht“ (Bauer, www.zugvogel-org.de/ep/ep_afet2.html). Bauer möchte hier auf die Wichtigkeit der Lebensphasen Kindheit und Jugend hinweisen, die eine einmalige Chance bieten, den zukünftigen Erwachsenen eine „Entwicklungsbewegung“ zu ermöglichen und ihnen zu einem gestärkten Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein zu verhelfen. An dieser Stelle sei auch auf die wichtige Präventivfunktion von Erlebnispädagogik hingewiesen. Sie ist nicht nur dann zu Rate zu ziehen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und andere pädagogische Maßnahmen nicht mehr greifen. Wer sich selbst kennen- und erleben lernt, ist eher in der Lage Konfliktsituationen zu bewältigen.

Auch hier kann eine konstruktivistische Pädagogik deutlich neue Akzente setzen. Durch die Unterscheidung von Beobachtern, Teilnehmern und Akteuren (vgl. Reich: Konstruktivistische Didaktik) wird die Sinnsuche differenziert. Gemeinsam können durch diese Unterscheidungen verschiedene Perspektiven in Erlebnissen und gegenüber Erlebnissen eingenommen werden, die auch starke Perspektivwechsel ermöglichen. Dies gilt insbesondere gegenüber dem oft nicht hinterfragten Tugendkatalog, der als heimlicher Lehrplan in erlebnispädagogischen Maßnahmen ruht. Wir sollten nicht nur erlebnispädagogischer Akteur sein, auch wenn dies Spaß macht oder uns an unsere Grenzen führt, wir sollten nicht nur Beobachter sein, der die Welt als gegeben aufnimmt, nicht nur Teilnehmer einer Maßnahme, sondern immer alles zugleich: In Gedanken unsere Perspektiven durchspielend und miteinander überlegen, was dies für wen bedeutet oder bedeuten könnte. Dies sind wesentliche Voraussetzungen für ein reflektiertes Gruppenerleben.

(4) Es sollte Zeit gegeben werden für Reflexion und Stille. Wer an ständigen äußeren Aktivitäten teilnimmt, ist auch innerlich ständig aktiv. Es muss eine Auszeit gegeben werden, um die neuen, meist ungewöhnlichen Erfahrungen „sacken“ zu lassen, auch um neue Erkenntnisse daraus ziehen zu können. Außerdem sind Kinder/Jugendliche oft auch durch ihr familiäres und soziales Umfeld einem so großen Erwartungsdruck ausgesetzt, dass sie Zeiten der Stille brauchen, um sich zurückzuziehen und auf sich selbst besinnen zu können. Dies würde den letzten beiden der von Stephen Bacon unterschiedenen Modelle der Erlebnispädagogik entsprechen: Dem „Outward Bound Plus Modell“ und dem „metaphorischen Modell“, die beide eine Reflexion des Erlebten mit einschließen (ausführlicher behandelt unter Darstellung).

Dieser Gedanke ist auch der konstruktivistischen Didaktik sehr wichtig. Wir haben den Unterricht zu sehr mit Wissen und einem oberflächlichen Gleiten über die Wissensvorräte angefüllt. Es ist immer an der Zeit, die Zeit für Vertiefungen und Nachdenken anzuhalten.

(5) Durch phantasievolle Spiele und Geschichten können Anregungen gegeben werden, den Lebensalltag einmal hinter sich zu lassen und sich auf eine komplett neue Situation einzulassen. Die eigene Fantasie kann hierbei wieder aktiviert und mutig ausgelebt werden. An dieser Stelle sei die Story Dealer AG genannt. Es handelt sich um ein Team von fünf Künstlern und Wissenschaftlern, die sich trauen, „Überfälle auf die Wirklichkeit“ (gleichnamiges Buch, Hrsg.: Hans Geißlinger) zu starten. Sie lassen erfundene Geschichten Realität werden und eröffnen die Möglichkeit, die Wirklichkeit zu ändern und neue Perspektiven entstehen zu lassen. Die Teilnehmer, ob Erwachsene oder Kinder, werden Akteure einer Geschichte, deren Ausgang offen ist. Sie entsteht erst durch die Handlungen und Reaktionen der Akteure. Unter Beispiele werden wir allerdings auch problematisieren, dass diese Gruppe die Manipulation in ihrem Vorgehen unterschätzt. Alle Spiele, so fordert eine konstruktivistische Didaktik, sollten Möglichkeiten zur Aufdeckung der praktizierten Regeln erlauben und sie sollten in keinem Fall uns einem Erleben aussetzen, das andere durch die Macht ihrer Konstruktionen für uns gebastelt haben, nur weil sie meinen, dass es gut für uns sei.

(6) Spielen beflügelt die Fantasie und kann ein wichtiger Teil erlebnispädagogischer Aktivitäten sein. Jedoch sollte gerade bei Outdoor-Aktivitäten oder den so genannten Extremsportarten nie der Ernst der Situation vergessen werden. Verantwortung für seine Mitmenschen, Vorsicht und eine klare Risikoeinschätzung sollten Teil eines jeden Projekts sein.

(7) Hahn meint an dieser Stelle, dass Einfachheit und Bescheidenheit bessere Lehrer sind als der Luxus, der einen zu Bequemlichkeit verführt. Wenn die Lebensumstände möglichst einfach und an den nötigen Bedürfnissen orientiert sind, gibt es nicht so viele Ablenkungsmöglichkeiten. Zu Hause gibt es Fernsehen, Musikanlage, Computer oder Zeitschriften, die die Zeit auf der Be­obachtungsseite vertreiben. Erlebnispädagogisches Arbeiten ist hingegen auch auf der Akteursseite sehr intensiv, da die Teilnehmer aktiv in das Geschehen involviert werden. Je weniger materielle Vorgaben und Ratschläge vorgenommen werden, um so eher besteht die Möglichkeit, kreativ und einfallsreich mit dem Vorhandenen zu experimentieren (dies kommt allerdings auch auf das erlebnispädagogische Feld an, bei bestimmten Sportarten muss die Ausstattung vorhanden sein). Ein wichtiger Punkt, der die Privilegiertheit betrifft, ist, dass die Teilnahmegebühr (soweit vorhanden) erschwinglich sein sollte, damit das Angebot für ein breites Spektrum an Bedürftigen und Interessierten offen bleibt.

„Erlebnispädagogik ist nicht bloß eine Theorie, sondern sie muss Praxis sein. Sie ist ein Menschenbild, eine Herausforderung an das Denken, Fühlen und Handeln der Pädagogen. Sie kann überall stattfinden und ist nicht untrennbar mit Segelschiffen, Wüsten, Urwäldern oder Bergen verbunden“ (Bauer in: www.zugvogel-org.de/ep/ep_afet2.html).

Was die Praxis der Erlebnispädagogik ihrer Theorie voraushat und sie so spannend macht, ist, dass jedes Projekt einen sehr individuellen Charakter für den Teilnehmer hat. Jeder Mensch zieht seine eigenen Beobachtungen, Schlüsse und Erfahrungen aus dem Erlebten, weshalb die Erlebnispädagogik auch immer wieder neue und unerwartete Ergebnisse erzielt.