Kurze Beschreibung der Methode
Primäre und sekundäre Quellen
Theoretische und praktische Begründung
Darstellung der Methode
Beispiele
Reflexion der Methode
Praxiserfahrungen

7. Praxiserfahrungen

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Schule

Dorothea Freudenreich gehört zu den Klassikerinnen des Rollenspiellernens. Sie schreibt als Erfahrungshintergrund:
„Wir haben gute Erfahrungen gemacht, wenn wir mit Rollenspiellernen in Schullandheimen angefangen haben. In diesem Rahmen war es auch möglich, kleine lustige Szenen zu gestalten, die ohne weitere Absicht gespielt wurden. Später konnte die Methode leichter für die Bearbeitung von Texten im Unterricht übernommen werden.“ (Freudenreich/Sperth, 1983, 30) Und: „Auf der einen Seite darf nicht das Problem eines Schülers zum Lernthema für alle werden, das wäre für den einen eine zu große Belastung, auf der anderen Seite sollen die Situationen nicht irreale utopische Konstruktionen sein, die den Blick auf die eigene Realität verstellen.“ (Freudenreich, 1977, 9)
„Bei Unterrichtsversuchen erlebten wir, dass sich Kinder nur unter großen Schwierigkeiten auf ihre Klassenkameraden beziehen können. Dies wird auch in solchen Unterrichtsformen, die an Information orientiert sind, nicht verlangt, weil die Schüler sich eher an dem Lehrer ausrichten. Den Schülern fällt es schwer, Aussagen und Mitteilungen der Klassenkameraden ernst zu nehmen und sie als Aufforderung zum Handeln oder Nachdenken zu betrachten.“ (Freudenreich, 1977, 13)
„In verschiedenen Klassen [der Primarstufe] erlebten wir, dass sich manche Schüler nicht bei ihren Namen kannten. [...] In den Spielen, die das Kennenlernen von Namen zum Thema haben, geht es uns um die wenig beachteten, zurückhaltenden Kinder.“ (Freudenreich, 1977,  13)
Diese ausgewählten Eindrücke zeigen, wie wichtig das Rollenspiel in einer Schule ist, in der viel zu wenig kooperiert und kommuniziert wird.

 

Erwachsenenbildung (Broich 1994, 99-105)

„Dieses Beispiel steht für Rollenspiel und Fallbesprechung. Der Einsatz ist nicht festgelegt; er ist primär für Lehrlinge-, Betriebs- und Jugendgruppen und für Abgangsklassen der Jahrgangsstufe vorgesehen. Den Mitspielern sollte der Text des Fallbeispiels bereits vor Spielbeginn bekannt sein. Wird lediglich der Inhalt und nicht der Textverlauf zum Gegenstand des Rollenspiels gemacht, so sollte die Spieldauer auf höchsten zehn Minuten begrenzt werden.
Handelt es sich bei den Mitspielern um Jugendliche, so sollte die Textvorlage nur als Spieleinstieg verstanden werden, aus dem sich nach der eigenen Fantasie der Mitspieler entsprechende Spielszenen aus der häuslichen Situation oder dem Bekanntenkreis entwickeln, die spielerisch dargestellt und bewältigt werden. Dabei sollte Alkohol als Problem im Mittelpunkt des Spielgeschehens stehen.

Mitspieler 1: Sprecher - nebst Spielleiterfunktion                 [S]
Mitspieler 2: Gerda Much, 17 Jahre, Auszubildende           [G]
Mitspieler 3: Astrid Much, 36 Jahre, Gerdas Mutter            [A]
Mitspieler 4: Peter Dau, 28 Jahre, Gerdas Chef                   [P]

S: Die siebzehnjährige Auszubildende Gerda Much trank bei Betriebsfeiern zuweilen einen über den Durst. Peter Dau - ihr Chef - war immer dabei. In diesem Zusammenhang bekam sie schon mehrfach Schwierigkeiten mit ihren Eltern, die das Ausbildungsziel ihrer Tochter gefährdet sahen. Gerda Much will technische Zeichnerin werden.
Am vergangenen Freitag kam Gerda Much zwei Stunden zu spät nach Hause. Sie entschuldigte sich damit, dass sie noch „einen gefeiert“ hätten. Die zweite Sachbearbeiterin in ihrem Zeichenbüro gab einen aus. Der Chef von ihr machte dabei mit. Ihrer Ansicht nach konnte sie als „einzige“ nicht früher gehen. Ihre Eltern waren da ganz anderer Meinung. Sie beschlossen, Herrn Dau mal ganz gehörig ihre Meinung zu sagen. Die Initiative ging von Gerdas Mutter aus. Gegen den Willen von Gerda beschließt sie, mit ihr zu Peter Dau zu gehen. Gerda ist dies alles sehr unangenehm.
P: Was für eine Überraschung, dass Sie auch einmal hier reinschauen. Das freut mich ungemein.
A: Die Freude ist nicht auf meiner Seite. Sie haben meiner Tochter das Trinken beigebracht. Zu Hause trank sie keinen Alkohol. Hier bei Ihnen wird sie dazu angehalten.
G: Mutti, bitte, das hat Herr Dau nicht verdient.
A: Wohl ihn noch in Schutz nehmen...
P: Frau Much - bitte entschuldigen Sie -, aber ich verstehe nicht, was Sie meinen. Können Sie ihr Anliegen bitte etwas konkretisieren?
A: Schauen Sie mal: Am letzten Freitag kam meine Tochter - nachdem sie einige harte Getränke bei Ihnen getrunken hatte - stockbesoffen nach Hause. Sie sagte noch, dass sie kräftig dazu angehalten wurde, weiter Alkohol zu trinken.
P: Frau Much, ich muss Sie hier ordentlich bitten: Bin ich das Kindermädchen Ihrer verehrten Tochter? Schauen Sie doch selbst. Gerda ist inzwischen erwachsen geworden. Sie weiß selbst am besten, was sie verträgt und was nicht. Außerdem ist mir nicht bekannt, dass am vergangenen Freitag hier alkoholische Getränke im Betrieb getrunken wurden.
A: Sie müssen verstehen, dass ich erregt bin - als Mutter - verstehen Sie? Ich möchte meine Tochter einen anständigen Beruf erlernen lassen, damit sie nachher „ihren Mann“ selbst stehen kann.
P: Trotzdem verstehe ich nicht, Frau Much, was Sie von mir wollen.
G: Lass doch Herrn Dau in Ruhe, Mammi. Der hat wichtigere Sachen zu erledigen, als mit dir hier einen Plausch zu machen.
A: Hör mal, Gerda, davon verstehst du nichts! Herr Dau hat die Erziehungsverantwortung, wenn du im Betrieb ausgebildet wirst. Ich habe mich da genau erkundigt. Wenn er duldet, dass du hier harte Sachen wie Whisky und so zu trinken...
P: ...bei Ihrer Tochter war das höchstens ein Glas Apfelsaft, wo sie sich so dran festhielt.
A: Wie viel Gläser sie mit diesem sogenannten Apfelsaft getrunken hat, wissen Sie natürlich nicht!
P: Ich muss Sie ersuchen, mir nicht etwas in den Mund zu legen, was ich nicht gesagt habe.
G: Siehst du Mammi, jetzt ist Herr Dau böse, weil du ihn geärgert hast.
A: Sei still, Kind, davon verstehst du nichts. Jedenfalls kann ich gegen Sie vorgehen, Herr Dau. Ich habe mich erkundigt.
S: Welche Möglichkeiten stehen ihr dabei zur Verfügung?

Nachbereitung
Bei der an das Spiel anschließenden Diskussion mit dem Plenum sollten der Sprecher bzw. die Mitspieler sich als Leiter zur Verfügung stellen. Dabei sollte darauf geachtet werden, ob das Jugendarbeitsschutzgesetz den Bedürfnissen der Jugendlichen entspricht bzw. was weshalb geändert werden müsste. Das Fallbeispiel „Gerda Much trank zuviel“ soll für eine Diskussion derartiger Fragen als Einstieg dienen.
Hierbei ist auch auf die nachfolgenden Diskussionsfragen zu achten, die mit eigenen Spielszenen dargestellt sind.
Welche Erwartungen sind im Jugendarbeitsschutzgesetz und im Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit noch außer dem Sittenschutz, wie im Fallbeispiel, enthalten? Sind die Schutzregelungen unabdingbar immer zum Schutz der arbeitenden Jugendlichen oder gibt es auch Ausnahmeregelungen - wie beispielsweise bei der Arbeits- und Akkordregelung im Jugendarbeitschutzgesetz?
Wie sehen die Auswirkungen der Jugendarbeit auf den häuslichen Bereich und die Freizeit des Jugendlichen aus?
Wie soll der Jugendliche seine  Interessen im Betrieb, in der Freizeit, im Freundeskreis, in der Schule und in der Öffentlichkeit erkennen und realisieren?
In dem Fallbeispiel kommt das Problem Alkohol zur Sprache. Ebenfalls gibt es - besonders bei Jugendlichen - ein Drogen- und Medikamentenproblem. Einzelne Jugendliche glauben, hiermit ihre Schwierigkeiten mildern zu können. Kann es einen Zusammenhang mit Partner- und Schulproblemen geben, bei denen sich Jugendliche ausgeschlossen und nicht verstanden erleben?
Gibt es Für Astrid Much auch andere Möglichleiten, mit ihrer Sorge um Gerdas Zukunft umzugehen? Vorschläge hierzu sollten unmittelbar in Szene gesetzt werden.

Auswirkungen
Die Jugendlichen verstanden es, sich das angebotene Fallbeispiel „Gerda Much trank zuviel“ für ihre Zwecke nutzbar zu machen. Das pädagogische Team achtete darauf, dass beabsichtigte Verhaltensänderungen als Folge des spielerischen Lernens auch im übrigen Sozialkundeunterricht Unterstützung erfuhren.
Das Fallbeispiel wurde mehrmals vorgetragen. Dabei kam der Vorschlag, die Spielszene auszubauen und die häusliche Situation zu spielen. Das Problem Alkohol selbst war den meisten Jugendlichen aus eigener Erfahrung bekannt. Sie kannten es als „Problemlöser“ aus dem Elternhaus.
Selbständig kam es zur spielerischen Darstellung von Gerdas Schwierigkeiten in ihrem Elternhaus.
Bei einer spontanen Spielszene wurde ein autoritärer Vater hinzugenommen, der „mit der Bierflasche auf dem Tisch seine Frau und Gerda anfuhr“. Gegenüber Astrid Much schimpfte der Vater, „sie habe in der Erziehung ihrer Tochter zuviel Verständnis gezeigt“ und „ihre Tochter müsste mal anständig eine rüberkriegen, damit sie wisse, was sich gehört“.
Die Jugendlichen ließen in dem Spiel ihre Aggressivität spielerisch ab und stellten sich anschaulich ihre häuslichen Erlebnisse dar. Einzelne Jugendliche fingen an zu kritisieren, dass Gerdas Mutter und Gerda sich so „fertig machen ließen“. Als Alternative spielten diese Jugendlichen ohne Vorbereitung den gleichen Vorgang mit erheblichen Verhaltensänderungen, bei denen Gerda und ihre Mutter den Spieß einfach umdrehten.
Astrid Much weigerte sich, Essen zu machen und ging stattdessen auf Gerda ein. Zum Schluss blieb dem Vater nichts anderes übrig, als den Koch „zu spielen“. Dieses solidarische Vorgehen im Spiel bewirkte bei den Jugendlichen die Bereitschaft, ihre Situation mit zu berücksichtigen, da sie als arbeitslose Jugendliche häufig in ihren Elternhäusern als Versager gesehen wurden. Einzelne Jugendliche versuchten, sich selber zu täuschen, indem sie der Über­zeugung waren, dass sie mit dem Förderlehrgang Arbeit hätten und die Unterstützung des Arbeitsamtes als ihren Lohn ansahen. Als Folge des Spiels kam es auch zu einer realistischeren Selbsteinschätzung. [...]“

Das Praxisbeispiel zeigt, Rollenspiele laufen je nach ihrer Eigenart ab, so dass sich zur Wirksamkeit immer auch nur singuläre Aussagen machen lassen. Nicht jedes Rollenspiel hat die gleichen Wirkungen bei unterschiedlichen Gruppen. Insoweit müssen Lehrende und Lernende in der Praxis die Spiele finden, die am besten zu ihnen passen.