Erzählt und gedacht wird, seit es den Mensch gibt. Bereits
die ältesten uns bekannten Hochkulturen verfassten Schriften in Form von
Geschichten. Schon seit jeher werden Wissen, Erfahrungen und Grundüberzeugung
in Form von Geschichten ausgetauscht und tradiert, heutige Wissenschaftsbereiche wie Historie, Kultur, Recht, Ethik
und Religion in Form von Geschichten von Generation zu Generation übermittelt
(Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.16 u. 44
u. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.7). Noch
heute spielt das mündliche Erzählen im Alltag eine große Rolle. Ereignisse
werden alltagssprachlich weitergegeben, indem die Geschehnisse, oft angeregt
durch Erzählungen anderer, (weiter-) erzählt werden (Vgl. Bartnitzky, Horst,
2006, S.35). Menschen informieren
sich über Geschichten, kommunizieren mit Hilfe von Geschichten und reflektieren
und verarbeiten Erlebtes anhand von Erzählungen (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.50-51). Der
einzelne Mensch ist demnach ein erzählendes Wesen. Erzählend übermittelt der
Mensch seine Erlebnisse, Erfahrungen, Träume und Fantasien (Vgl. Claussen,
Claus, 2006, S.14). Geschichten sind damit Speicher der Denkmuster der
Menschen, in denen sich individuelle Werte, Einschätzungen und Vorstellungen,
d.h. Sinnzuschreibungen, zeigen (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.51). Geschichten,
die sich Menschen untereinander erzählen, sind somit immer Ausdruck ihrer
Identität, ihres Bewusstseins und der Beziehung zu anderen. Entsprechend kann
die Menschheit als ein kollektiv erzählendes Wesen, als ein sich gegenseitig
erzählender und zuhörender Organismus, betrachtet werden, indem sich jeder
Einzelne durch das gegenseitige Erzählen und Zuhören die Welt erschließt und zu
Eigen macht (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004,
S.6-7).
Die narrative Sprachverwendung setzt in der kindlichen
Entwicklung früh ein. Neben der für die narrative Sprachverwendung kennzeichnenden
und hörbaren sprachlichen Tempusform (Vergangenheitsform um Vergangenes
mitzuteilen), lässt sich erkennen, wie Kinder damit beginnen, sich über ihre
inneren Vorstellungen mit Hilfe von geringen sprachlichen und mimischen
Ausdrucksmitteln mitzuteilen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.67-68). BRITTON unterscheidet hierbei zwischen
zwei Sprachverwendungen, und teilt diese in >>teilnehmendes<< (Rolle
des Teilnehmers) und >>betrachtendes<< (Rolle des Zuschauers) Sprechen
ein. Die Sprache in der Rolle des Teilnehmers findet sich hierbei in
Gesprächen, in denen z.B. argumentiert, gestritten und überredet, d.h. Sprache
benutzt wird, um an einer gemeinsamen Aufgabe zu arbeiten. Hierbei werden
Vorstellungen vergangener Erfahrung festgelegt um die aktuelle Situation zu
deuten, ihr einen Sinn zu verleihen und auf sie einzuwirken. Die Sprache in der
Rolle des Zuschauers (Betrachters) findet sich dagegen in der Wiederbelebung
vergangener Erfahrungen, oder um Erfahrungen als Gegenstände der Betrachtung
auszudenken. Hierbei wird versucht, die Einheitlichkeit und den Zusammenhang
der Erinnerung früherer Erfahrungen zu sichern bzw. Erfahrungen zu bearbeiten,
womit die Sprache in der Rolle des Zuschauers die Funktion Erfahrungen zu
verarbeiten erhält (Vgl. Britton, 1979, In: Merkel, Johannes, 2000, S.68/69). Hierbei macht MERKEL deutlich, dass
sich die jeweils unterschiedlichen Sprechweisen nicht allein durch ihre
jeweiligen sprachlichen Zeichen und Regeln unterscheiden, sondern es sich
vielmehr um zwei verschiedene, d.h. spezifischer ausgedrückt um zwei
gegensätzliche Formen handelt, die Erfahrungen jeweils unterschiedlich verarbeiten
und organisieren. Das heißt, nach
BRITTONS Kennzeichnung, dass sich das betrachtende Sprechen vom tätigen
Eingreifen des teilnehmenden Sprechens, und der darauf aufbauenden kognitiven
Durchdringung der Umwelt, abgrenzt bzw. nicht in der sozialen Welt gehandelt,
sondern solches Handeln in der Vorstellung nachbildet, wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.69).
BRUNER unterscheidet hierbei zwischen einem >>logisch-wissenschaftlichen<<
bzw. >>argumentativen<< und einem >>narrativen<< Denken,
wobei das >>narrative<< Denken, welches Wahrnehmungen auf anderer
Art verarbeitet und eine eigene Realität konstruiert, nach FRENZEL u.a. als
eine Wiederentdeckung der fehlenden anderen Seite des Denkens betrachtet werden
muss (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.16).
Dabei bedarf es zum Verstehen und Handeln und um über die Realität zu
kommunizieren die Seite des >>logisch-wissenschaftlichen<< bzw.
>>argumentativen<< und des >>narrativen<< Denkens. Beide
Denkarten verschaffen sich hierbei einen jeweils unterschiedlichen Zugang zur
Welt und machen erst gemeinsam, in ihrem Zusammenspiel, die Breite menschlicher
Erfahrungen aus. Dieses impliziert, dass die jeweiligen Denkarten nicht gegeneinander
austauschbar sind, d.h., dass sich weder die eine Art des Denkens auf die
andere Art des Denkens zurückführen lässt, noch die eine Art des Denkens
zugunsten der anderen Art des Denkens vernachlässigt werden kann, ohne das
breite Spektrum des Denkens zu verfehlen (Vgl. Bruner, 1986, In: Frenzel, Karolina
/ Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.14-15 u. Merkel, Johannes, 2000,
S.69).
STERN versteht unter der narrativen Sprachverwendung ein
>>erzählendes Selbstempfinden<<, indem er den Blickwinkel von der
Bearbeitung der gegenständlichen Umwelt und der Beeinflussung der sozialen Umwelt
(nach Brittons Formulierung die Rolle des Teilnehmers), auf die
Selbstwahrnehmung des Individuums, verschiebt. Hierbei sieht Stern im
>>erzählenden Selbstempfinden<< die Fähigkeit, eigene
lebensgeschichtliche Erfahrungen in einen sinnvollen Zusammenhang zu gliedern,
sobald sich das Kind in den Anfängen der Sprachbeherrschung immer weiter von
der körperlich-sinnlichen Wahrnehmung entfernt und sich mehr und mehr auf
sprachliche Konzepte bezieht (Vgl. Stern, 1992, In: Merkel, Johannes, 2000, S.69-70). Diesen Gedanken aufgreifend, spricht Merkel perspektivisch
erweiternd von einem >>Modus der inneren Vorstellungswelt<<, indem
sich Kinder durch das erzählende Reden (und über fiktive Spiele) Geltung
verschaffen (Vgl. Merkel, Johannes,
2000, S.92), d.h. über das erzählende Reden
die zentrale Erfahrung menschlicher Bewusstwerdung, die sich aus der
Unvereinbarkeit von sozialer Außen- und individueller psychischer Innenwelt
ergibt, zu verarbeiten (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.9).
Im Gegensatz zum rein argumentativen Denken, welches Fakten
und Sachverhalte isoliert oder lediglich in vordefinierten Zusammenhängen
betrachtet bzw. sich an Einzelheiten und Teilaspekten orientiert, werden Fakten
(Akteure und Sachverhalte), von denen die Geschichte erzählt, mit ihrer
Umgebung in merkbarer Form zueinander in Beziehung gesetzt, worüber ein
Zusammenhang des Gesamtprozesses geschaffen wird (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.20). Geschichten sind ein
Instrument der Vernetzung. Indem Inhalte über das Verbinden und Verknüpfen in
eine sinnvolle und bedeutende Ordnung gebracht bzw. in eine Beziehung gesetzt
werden, lässt sich für die Zuhörer über diesen Zusammenhang immer mehr erkennen
als die Summe der eigentlichen Fakten, Regeln und Gesetze. Indem Inhalte in
konkrete Situationen bzw. konkrete Umwelten eingebettet werden, liefern
Geschichten immer einen konkreten Kontext mit, und machen Thematiken so für die
Zuhörer eher sichtbar (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.10). „Erlebtes wird in eine Ordnung gebracht, Zusammenhänge werden
hergestellt, Ereignisse, Veränderungen, Handlungen werden strukturiert, Wissen
mit einem konkreten Kontext verknüpft.“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller,
Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.58) Hierbei ist wichtig, dass das
>>logisch-wissenschaftliche<< bzw. >>argumentative<<
Denken im Zuge des narrativen Denkens seinen Platz behält, um z.B. im
Anschluss, bei der Beschäftigung mit dem noch nicht Realen (Idee/Vision), zu
prüfen, wie die Idee/Vision letztlich real werden kann. Einseitig >>logisch-wissenschaftliches<<
bzw. >>argumentatives<< Denken erstarrt in Fakten, schafft nichts
Neues und blendet relevante Zusammenhänge und Wirkfaktoren aus. Einseitig
narratives Denken läuft hingegen ebenso Gefahr, wichtige Realitätsbereiche
auszugrenzen, indem sich Geschichten und Möglichkeiten ohne Anbindung an die
Realität verlieren (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann,
2006, S.23).
Geschichten sind immer >>ganzheitlich<<, da sie
inhaltliche und emotionale Elemente in
einen Zusammenhang bringen. Geschichten sind damit systemischer als eine reine
Beschreibung von Fakten und kennzeichnen damit kein Fakten- sondern Zusammenhangswissen,
und schließt neben den abstrakten Überlegungen auch Empfindungen mit ein (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.26). Neben dem Wissensgehalt enthalten
Geschichten somit eine emotionalisierende Wirkung, die, durch das erwünschte
Agieren der Zuhörer auf die Erzählung, sowie mit dem Erzählen einer Geschichte
selbst, individuelle Denk- und Sichtweisen anderer zulässt. Hierüber wird nicht
nur analytisch rational gedacht, sondern auch soziale und emotionale Intelligenz
gefördert (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004,
S.26-27).
Hierbei liefern Geschichten immer ein bestimmtes Bild,
knüpfen am Bestehenden und bereits Bekannten an, verbinden das Bekannte mit dem
Unbekannten bzw. das Eigene mit dem Fremden und lassen Inhalte über einen
anderen Blickwinkel aus einer anderen Perspektive erscheinen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2004, S.11). Individuelle Perspektiven zeichnen
sich hierbei über die Interpretation von Gegenwart aus, zu der viele
unterschiedliche Varianten der Vergangenheit existieren. Hierbei lassen sich
übereinstimmende Fakten erkennen, sagen diese Fakten jedoch unterschiedliches
aus, da sie in individuellen Zusammenhängen erscheinen und mit je unterschiedlicher
Bedeutung versehen sind (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.237). Zuhörer können sich über
Geschichten Anderer in individuelle Perspektiven mit ihren zusätzlichen
Elementen hineinversetzen und den Raum der Möglichkeiten erweitern, indem
Sachlagen anders beurteilt, Optionen erkannt und Alternativen erfahren werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2004, S.11). Neben einem bestimmten Bild liefern
Geschichten immer auch ein ganzes Bild, welches den Zuhörern erlaubt,
wesentliche Strukturen zu überblicken. Das Gesamte im Überblickt schafft
Orientierung, motiviert und befähigt die Lerner, aktiv und eigenständig zu
Handeln (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2004, S.174).
Geschichten schaffen ein narratives Grundelement von Lehr-
und Lernprozessen, indem Deskription und Narration (Vermitteln und Erzählen)
miteinander verknüpft werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2006, S.3). Nach
JOHANNES MERKEL hängt die Erinnerungsleistung des durchschnittlichen
Gedächtnisses von einem sinnhaften Ganzen, von der Struktur eines sinnvollen
und verbindenden Zusammenhangs der Einzelheiten, ab (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.187). In Geschichten verarbeitete und über Geschichten geäußerte
Informationen liefern die entsprechenden Bezüge (Zusammenhang der Fakten unter
Berücksichtigung der Emotionen) und lassen sich im Gegensatz zu abstrakten
Erklärungen und beschreibenden Informationen schneller verstehen und behalten (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2004, S.9). Neben dem Aspekt des sinnhaften
Ganzen, ergänzt der Zuhörer die einzelnen Informationen der Geschichte aus
seiner eigenen Vorstellung und Erfahrung und zieht beim Hören einer Geschichte
über seine eigene Vorstellung und Erfahrung die Verbindungslinien zwischen
diesen Informationen. Hierbei zieht der Zuhörer Folgerungen, entdeckt
Möglichkeiten und erkennt und trifft Unterscheidungen zwischen seiner eigenen
Vorstellungs- und Erfahrungswelt und der Vorstellungs- und Erfahrungswelt
Anderer. Das Hören von Geschichten kennzeichnet gegenüber dem Hören von
Erklärungen und dem Präsentieren von Konzepten entsprechend immer eine höhere
geistige Aktivität und Aufmerksamkeit, da beim Hören von Geschichten immer auch
mitgedacht wird und daher immer eine schöpferische Eigenleistung mit einhergeht
(Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2004, S.174-175). Hierbei werden alle geistigen
Aktivitäten, d.h. das Abstrakte und das Sinnliche wie auch der Gedanke und das
Gefühl, gleichermaßen angeregt. Über die
Einbettung der Inhalte in eine konkrete Situation bzw. Umwelt werden die
Inhalte für die Lerner greifbar und darüber leichter verständlich, da sie sich
in die Situation hineinversetzen können und Geschichten so zum Nahbereich ihres
Erlebens werden (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann,
2004, S.9 u. 110).
„Geschichten sind offenbar eine höchst ökonomische Art, mit
der Komplexität der Welt umzugehen. Sie setzen unterschiedliche Akteure in
einer spannenden, die Emotionen [...] fesselnden und daher gut merkbaren Form
zueinander in Beziehungen […] Sie integrieren in einzigartiger Weise kognitive
und emotionale Schemata und werden so zu einem der wichtigsten
Interpretationsrahmen, die wir als Menschen zur Deutung unserer Erfahrungen
verwenden.“ (Vgl. Simon, 2004, In: Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2006, S.44)
Tritt eine Person mit einer anderen Person (kommunikativ) in
Beziehung, sendet der so genannte Sender dem Empfänger eine Nachricht auf
verbaler und nonverbaler Ebene, bestehend aus den Aspekten der Sache,
Beziehung, Selbstoffenbarung und dem Appell. In der ein und derselben Nachricht
sind entsprechend viele Botschaften gleichzeitig enthalten und der Empfänger
muss mit den jeweils vier entsprechenden Empfangsohren auf die Nachricht
reagieren, will er die Nachricht vollständig interpretieren bzw. verstehen. Die
>>Klarheit<< der Kommunikation ist somit eine vier-dimensionale
Angelegenheit, in der alle vier Aspekte als prinzipiell gleichrangig anzusehen
sind (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.15-16 u. 44). Kommunikation
beinhaltet jedoch mehr als das bloße Senden und Empfangen von Nachrichten. Der
Empfänger reagiert auf die Nachricht, und wird durch diese Reaktion zum Sender
einer weiteren Nachricht und umgekehrt. Sowohl der Sender als auch der
Empfänger nehmen auf einander Einfluss. Die gegenseitige Einflussnahme
kennzeichnet die Interaktion (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.82).
Aus der systemischen Beobachtungsperspektive wird Kommunikation aufgrund der
wechselseitigen Beeinflussung einzelner Elemente im Prozess der Rückwirkung
entsprechend als zirkulärer Kreisprozess betrachtet (prozessorientiertes und
dynamisches Modell) (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.26). „Kommunikation ist ein Wechselwirkungsgeschäft mit mindestens zwei
Beteiligten. Persönliche Eigenarten, individuelle Verhaltensweisen sind
interaktionsbedingt. Es gehören immer (mindestens) zwei dazu.“ (Vgl. Schulz von
Thun, Friedemann, 1998, S.83)
(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, Abb.4, S.30 u.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, Abb.2, S.29).
(zu Aspekt 1)
Sachinhalt
Der Sachaspekt drückt aus, worüber der Sender informiert.
Jede Nachricht enthält mindestens eine Sachinformation, die klar und
verständlich mitgeteilt wird (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.13 u.
26).
(zu Aspekt 2)
Beziehung
Der Beziehungsaspekt drückt zwei Arten von Botschaften aus.
Der erste Teil des Beziehungsaspekts beinhaltet die Art der erbrachten
Kommunikation des Senders. Durch das WIE (wie der Sender den Empfänger anredet)
wird zum Ausdruck gebracht, was der Sender vom Empfänger hält. Der zweite Teil
des Beziehungsaspekts beinhaltet die Art, wie der Sender zum Empfänger steht.
Dieser Teil des Beziehungsaspekts drückt eine bestimmte Art von Beziehung aus.
Diese ist Abhängig von der Rolle des Anderen oder z.B. wie formell oder
informell der Rahmen ist (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.13 u. 27-28
u. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S. 26).
(zu Aspekt 3)
Selbstoffenbarung
Der Selbstoffenbarungsaspekt beinhaltet das, was der Sender
von sich selbst bzw. seiner Persönlichkeit in gewollter Selbstdarstellung oder
unfreiwilliger Selbstenthüllung preisgibt. Mit der Nachricht des Senders sind
immer Ich-Botschaften verknüpft, womit der Empfänger Informationen über die
Person des Senders erhält (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.14 u.
26-27).
(zu Aspekt 4)
Appell
Der Appellaspekt drückt aus, zu Was der Sender den Empfänger
veranlassen möchte. Der Sender nimmt Einfluss auf das Denken, Fühlen und
Handeln des Empfängers (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.14 u. 29-30).
(zu A)
Sender
(1)
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|
Der Sender einer
Nachricht
|
|
teilt dem Empfänger Sachinformationen mit.
|
(2)
|
|
Der Sender einer
Nachricht
|
|
drückt dem Empfänger aus, was er von ihm hält und wie er
zu ihm steht.
|
(3)
|
|
Der Sender einer
Nachricht
|
|
stellt sich dem Empfänger selbst dar.
|
(4)
|
|
Der Sender einer
Nachricht
|
|
nimmt Einfluss auf den Empfänger im Denken, Fühlen und
Handeln.
|
(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.44).
Im Zusammenhang mit den vier Aspekten einer Nachricht geht
beim Sender eine Vorstellung über die Reaktion des Empfängers, die Vorstellung
wie der Kommunikationspartner reagieren soll, mit einher.
(zu B)
Empfänger
(1)
|
|
Der Empfänger einer
Nachricht
|
|
versucht die Sachinformationen des Senders zu verstehen.
|
(2)
|
|
Der Empfänger einer
Nachricht
|
|
zeigt Betroffenheit durch die Botschaft des
Beziehungsaspekts und fühlt sich in einer speziellen Art behandelt.
|
(3)
|
|
Der Empfänger einer
Nachricht
|
|
reagiert auf den Sender, indem er versucht, die
Darstellung des Senders personaldiagnostisch zu charakterisieren (Was ist das
für einer? Was ist mit ihm los?).
|
(4)
|
|
Der Empfänger einer
Nachricht
|
|
wertet den Appell aus (Was sollte ich jetzt am besten tun?
Wo will er mich hinhaben?).
|
(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.44).
Die vier Aspekte einer Nachricht des Senders sind als
gleichrangig anzusehen, wobei bei jeder Nachricht einzelne Aspekte in den
Vordergrund bzw. in den Hintergrund rücken können. Deshalb kann der Empfänger unterschiedlich
auf ein und die selbe Nachricht reagieren, da er prinzipiell die freie Auswahl
der Seiten hat, mit der er auf die Nachricht reagieren will (Vgl. Schulz von
Thun, Friedemann, 1998, S.16 u. 45).
Die weiter oben beschriebene freie Auswahl des Empfängers
auf die vier gesendeten Aspekte einer Nachricht kann zu Kommunikationsstörungen
zwischen den Kommunikationsteilnehmern führen. Dieses geschieht, wenn der
Empfänger auf einen Aspekt der Nachricht Bezug nimmt, auf die der Sender das
Gewicht nicht legen wollte, d.h. der Empfänger verstärkt auf einem bestimmten
Ohr, anstatt mit vier Ohren, zuhört (keine Vierohrigkeit) (Vgl. Schulz von
Thun, Friedemann, 1998, S.46), oder anders ausgedrückt, die mitvermittelte
Absicht der Nachricht des Senders durch den Empfänger anders gedeutet wird
(Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.33-34). Eine mit der Absicht
nicht konform gehende Deutung ergibt sich hierbei oft durch widersprüchlich
gesendete Botschaften (mit gesendete Information auf der Beziehungsebene), die
sich durch Inkongruenz zwischen verbaler und nonverbaler Ausdrucksweise ergeben
(inkongruente Kommunikation) (Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005,
S.37). Bezogen auf die Methode des Geschichtenerzählens kommt es zur
inkongruenten Kommunikation, wenn beim Geschichtenerzählen einzelne Aspekte in
den Vordergrund bzw. in den Hintergrund rücken, oder, sofern es sich um eine
Botschaft handelt, diese falsch interpretiert und damit nicht verstanden wird.
Dieses geschieht z.B. wenn Geschichten vom Erzähler nicht gut gebaut sind, der
Erzähler das Ziel mit der Botschaft verfehlt oder unbewusst falsche bzw.
widersprüchliche Botschaften vermittelt.
Nach CARL ROGERS ist die Kongruenz die Übereinstimmung
zwischen drei Bereichen der Persönlichkeit:
|
|
Bezogen auf den
Erzähler einer Geschichte
|
Dem inneren Erleben
|
|
Was der Erzähler fühlt u. was sich in dem Erzähler regt.
|
Dem Bewusstsein
|
|
Was der Erzähler für sich davon bewusst mitbekommt.
|
Der Kommunikation
|
|
Was der Erzähler davon mitteilt bzw. nach außen hin
sichtbar werden lässt.
|
(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.115 u. 117)
Je kongruenter bzw. je authentischer der Erzähler einer
Erzählung ist bzw. dem Zuhörer erscheint, desto klarer und eindeutiger ist die
Nachricht der Geschichte. „Sei du selbst, gib dich nach außen hin so, wie dir
innerlich zumute ist. Und als Voraussetzung dafür: Versuche dir selbst klar zu
werden, wie dir innerlich zumute ist (offenbare dich dir selbst, erkenne dich
selbst)!“ (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.116-117). Gibt sich der
Erzähler nicht offen, fühlt sich der Zuhörer verunsichert und misstraut ihm.
Der Zuhörer denkt über das Problem der >>Inkongruenz<< nach, ist
abgelenkt und kann sich nicht voll und ganz auf die Sache konzentrieren. Im
umgekehrten Sinne meint dieses, dass je mehr der Zuhörer zuhört, desto mehr
sich der Erzähler verstanden fühlt und dem Zuhörer darüber eine positive
Wertschätzung auf der Beziehungsseite entgegen bringt. Dieses wiederum
registriert der Zuhörer, und fühlt sich vom Erzähler akzeptiert (Symmetrische
Beziehung), um daraufhin selbst kongruent zu kommunizieren (Vgl. Schulz von
Thun, Friedemann, 1998, S.117).
Um dem Missverständnis, wonach unter Authentizität
verstanden wird, >>immer alles, was in einem ist, herauszulassen, und es
im Anschluss das Problem des Empfängers sein zu lassen, und dieser zusehen
muss, was er damit anfängt<< vorzubeugen, spricht RUTH COHN von der
selektiven Authentizität (ausgewählte Stimmigkeit), die im Gegensatz zur
maximalen Authentizität, welche sich durch totale bzw. absolute Offenheit
kennzeichnet, als optimale Authentizität „das, was sich an persönlicher
Erfahrung im Inneren ereignet, mit optimaler innerer Ehrlichkeit und
kommunikativer Klarheit - also authentisch - dem Partner mitzuteilen.“,
bezeichnet wird (aus einem Interview mit Ruth Cohn, 1979, In: Schulz von Thun,
Friedemann, 1998, S.120-121). Für RUTH COHN sind für die Authentizität zwei
Merkmale entscheidend. Zum einen soll sich der Sender über die eigenen Gefühle,
der eigenen Motivation und den eigenen Gedanken klar werden, um zum anderen das
klar auszusprechen, was gesagt werden soll, so, dass es beim Empfänger ankommt.
Hierbei soll sich der Sender gleichzeitig vorstellen, wie das, was in dem
Sender selbst (in einem selbst) vorgeht, vom Empfänger gehört wird (Vgl. Schulz
von Thun, Friedemann, 1998, S.120). „Nicht alles, was echt ist, will ich sagen,
doch was ich sage, soll echt sein.“
(Vgl. Ruth Cohn, 1979 In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120)
Stimmigkeit bedeutet für FRIEDEMANN SCHULZ VON THUN, nach
RUTH COHNS Beschreibung der selektiven Authentizität, die Übereinstimmung mit
der Wahrheit der Gesamtsituation, welche sich aus…
|
|
Bezogen auf die
Methode des Geschichtenerzählens
|
…der inneren
Verfassung,
|
|
Sind die Erzählung und die Art der Erzählweise
authentisch?
|
der Zielsetzung,
|
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Passen die Geschichte, der Bau der Geschichte und die in
der Geschichte enthaltende Botschaft, um das Ziel zu erreichen?
|
dem Charakter der
Beziehung,
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Herrscht gemeinsames Interesse? Ist die Beziehung zwischen
der Lehrperson und den Lernern bzw. unter den Lernern selbst symmetrisch
(demokratisch) angelegt?
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der inneren
Verfassung des Empfängers u.
|
|
Wie kann bei den Zuhörern Interesse geweckt werden? Wie
werden die Zuhörer die Geschichte wahrnehmen?
|
der Forderungen der
Lage, zusammensetzt.
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Wie kann über die Geschichte verbunden mit der Art der
Geschichte und der Erzählweise eine symmetrische Beziehung aufgebaut werden?
Wie geht man mit dem Ergebnis heute und in Zukunft um?
|
(Vgl. Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.121).
Kommunikative Störungen haben zur Folge, dass
Beobachterperspektiven über das Nachfragen häufiger geklärt und gegeneinander
abgeglichen werden müssen. Um Missverständnisse zwischen der Absicht des
Senders und ihrer Deutung durch den Empfänger in der Kommunikation zu bemerken
und aus den Weg zu räumen, bedarf es der bewussten Rückmeldung. Eine bewusste
Rückmeldung meint die Mitteilung vom Empfänger (wird zum Sender) an den Sender
(wird zum Empfänger) über sein Empfinden der vorangegangenen Mitteilung, d.h.
wie der Empfänger das Verhalten visuell und auditiv wahrgenommen, das
Wahrgenommene interpretiert bzw. gedeutet und sich in der Situation in Bezug
auf seine Emotionen gefühlt hat. Im Weiteren, dass die hinter der Äußerung
liegende innere Botschaft des Senders aufgespürt, und neben der
personaldiagnostischen Haltung (Was ist das für einer?) ein größeres
Verständnis für die Nachricht des Senders erlangt wird. Damit wird aus der eher
personaldiagnostischen Haltung eine zusätzlich wohlwollend einfühlende
(Empathie) und damit wertschätzende (Akzeptanz) Haltung gegenüber der Nachricht
des Senders, und des Senders selbst, eingenommen. Über bewusste Rückmeldungen
können entsprechend Missverständnisse vermieden, Klarheit über die Inhalts- und
Beziehungsebene verschafft und dem ursprünglichen Sender gleichzeitig
Wertschätzung durch Signalisieren wirklichen Zuhörens entgegengebracht, werden
(Vgl. Reich, Heike, In: Reich, Kersten, 2005, S.42-43). Das aktive (wirkliche)
Zuhören ist nach ROGERS für Gesprächstherapeuten und nach GORDON für Erzieher
eine wichtige Kommunikationsfähigkeit (Vgl. Rogers, in Tausch, 1979, u. Gordon, 1972, In: Schulz von Thun,
Friedemann, 1998, S.57). Hierbei steht primär die Selbstoffenbarungsseite der
vier Seiten einer Nachricht beim Erzählen im Vordergrund, in dem Bemühen, sich
in die Gefühls- und Gedankenwelt des Senders (Erzählers) einzufühlen und dessen
Inhalte (Selbstoffenbarungsanteile) einfühlend zu entdecken und gleichsam
zurück zu übersetzen, so dass der Sender (Erzähler) mehr zu sich selbst kommt
und verleitet wird, (weiter) zu erzählen (Vgl. Schulz von Thun, Friedemann,
1998, S.57-58). Empfindungen sollten daher durch bewusste Rückmeldungen immer
überprüft werden. Hierbei sollten Rückmeldungen nach GORDON immer einen hohen
Selbstkundgabeanteil in Form von Ich-Botschaften enthalten, indem sich der
Rückmelder in seinem Befinden selbst beschreibt und sich nicht auf den Anderen
bezieht. Hierbei wiederum spielt die Selbstwahrnehmung eine relevante Rolle, um
eigene Gefühle überhaupt mitteilen zu können (Vgl. Reich, Heike, In: Reich,
Kersten, 2005, S.44).
Als Grundkonzept der mündlichen Kommunikation gilt das Gespräch,
welches nach GEISSNER als ein in symmetrischer Kommunikation, als
>>offener Prozess des Antwortens und Fragens<<, mit vertauschten
Rollen, verstanden werden muss (Vgl. Geißner, 1979, In: Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.11). Da es unmöglich scheint, sich nur über Gesprächsprozesse
zu artikulieren, ist der Mensch gezwungen, sich der als asymmetrische
Kommunikationsform bezeichnete Rede
anzunehmen. Nach BARTSCH jedoch unterliegt auch die asymmetrische Rede dem
dialogischen Prinzip (Vgl. Bartsch, 1979, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005,
S.12). Entsprechend kann das Grundmuster des Gesprächs (Fragen und Antworten)
als Orientierung beim Aufbau einer Rede (Erzählung) hilfreich sein. Nach
Geißner: „Denn wenn auch für die Rede das Ziel gilt, 'mentale oder reale
Handlungen auszulösen', dann gibt es keine andere Möglichkeit, als so zu reden,
dass die Hörer mitdenken können und - wenn sie die vorgeschlagenen,
argumentativ begründeten oder plausibel erläuterten Handlungsziele akzeptieren
- mithandeln. Dies fordert vom Redner […] angemessen an die steuernden Faktoren
der jeweiligen Situation, vor allem an die Verstehensfähigkeit der Zuhörer,
eine sprachliche und sprecherische Ausdrucksweise, die den Hörer zum Mitdenken
einlädt und zum Mithandeln freilässt.“ (Vgl. Geißner, 1979, In: Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.12)
Anders, als z.B. über ein Gespräch um Erklärung zu bitten
oder in einem Gespräch seiner Meinung Gehör zu verschaffen, muss sich der
Erzähler einer Geschichte an bestimmte und sich gegenüber dem Gespräch
unterscheidbare Ausdrucksweisen bedienen. Im Gegensatz zum Gespräch, in der
jeder Beteiligte die Rolle des Teilnehmers verkörpert, befindet sich der
Erzähler einer Geschichte im Modus des betrachtenden Sprechens (Vgl. Britton,
1979, In: Merkel, Johannes, 2000, S.68/69).
Kenntlich bietet jede Geschichte ein eigenständiges und zusammenhängendes
Gebilde (Handlungsfolge), welches auf Grund dieses Umstandes, losgelöst vom
Gespräch, den Erzähler auffordert, sich aus dem gegebenen Handlungskontext zu
lösen. Über den vom Gespräch gelösten Kontext müssen, um die Aufmerksamkeit der
Zuhörer von der sinnlich wahrnehmenden Situation in den Wirkungsbereich der
Geschichte zu überführen, Handlungen und ihre zugehörigen Situationen in der
Vorstellung nachgebildet bzw. nachgestellt werden. Dabei muss der Erzähler die
Geschichte, explizit über die Modulation der Stimme und der körpersprachlichen
Untermalung in Gestik und Mimik, ausgestalten und nach einem vorgegebenen
Muster typischer Erzählhandlungen wiedergeben. Hierbei geht, laut Untersuchungen, die gestische und spielerische
Darstellung über den sprachbegleitenden nonverbalen Ausdruck eines
Alltagsgesprächs hinaus. Hierbei kennzeichnet der Modus des betrachtenden
Sprechens im Weiteren den Tempusgebrauch, um deutlich zu machen, dass sich das
Folgende im Raum der Erzählung und nicht im Hier und Jetzt, der unmittelbaren
Gegenwart abspielt, und den Ein- und Ausstieg der Erzählung, und damit den
Erzählbeitrag selbst (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02/kap04/kap06
u. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie
Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Aus dieser knappen Schilderung geht hervor, dass auch beim
Erzählen von Geschichten, wie bei der Rede, die asymmetrische
Kommunikationsform, gekennzeichnet durch einen längeren Erzählbeitrag, angenommen
werden muss. Jedoch unterliegt auch das Erzählen von Geschichten dem
dialogischen Prinzip. „Storytelling ist immer und von Anfang an eine
dialogische Methode. Im Wechselspiel zwischen Erzählen und Zuhören, zwischen
Weitererzählen und Mitdenken, zwischen Deuten und Weiterdenken der Geschichten
und ihrer Botschaften entstehen Energien und neues Wissen, Verständnis und
Gespräche […].“ (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller,
Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.76). „Erzählen ist ein fortgesetzter Austauschprozess. Wer eine
Geschichte erzählt, löst damit in aller Regel das Erzählen anderer aus […], und
damit ist Storytelling der Gegenpol zur Einweg-Kommunikation. Wer erzählt,
spricht damit gleichsam immer auch eine Einladung aus, sich zu beteiligen und
mitzuerzählen, in den Austausch einzusteigen.“ (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.5)
Als die natürliche Urform des Erzählens gilt das >>konversationelle
Erzählen<<, ein in alltägliche
Unterhaltungen eingebettetes Erzählen, welches für alle Beteiligten durch einen
gleichen Zugang zum Rederecht und einem gleichberechtigten freien Äußern
charakterisiert ist (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.94). Sowie sich
Sprechintervalle in Dialogen über Verständigungssignale (z.B. durch Ansprechen,
Fragen stellen, Einlegen kurzer Pausen) regeln, müssen geplante Erzählbeiträge
vom Erzähler angekündigt (Das erinnert mich an was, nämlich…) und im Folgenden
die Bereitschaft der potenziellen Zuhörer abgewartet werden. Diese
signalisieren entsprechend die Bereitschaft oder das Desinteresse an dieser
Erzählung. Entsprechend wird über die Ankündigung, eine Geschichte erzählen zu
wollen, immer erst das Wort abgegeben, um es ggf. im Sinne einer Aufforderung
zum Erzählen zurück zu bekommen (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.94-95).
Während des Erzählens von Geschichten muss der Erzähler
Rücksicht auf die Zuhörer nehmen und sich zwischenzeitlich von den Zuhörern das
Interesse, mit der Erzählung fortzufahren, durch Aufforderung bestätigen lassen.
Damit läuft das Erzählen zwischen Erzähler und Zuhörer unter dem dialogischen
Prinzip, unter ständiger Abstimmung und Rückkopplung, weiter (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.96). Neben der gerichteten Aufmerksamkeit
auf die Zuhörer, muss sich der Erzähler ebenso auf die Entfaltung der
Handlungen und Ereignisse der Geschichte konzentrieren. Hierbei verschiebt sich
in dramatischen Momenten zwischenzeitlich die Aufmerksamkeit, d.h. auf die
Fokussierung des Inhalts und der Wiedergabe der Geschichte. Entsprechend
befinden sich sowohl der Erzähler als auch die Zuhörer zum einen in der
gelebten Gegenwart der Erzählsituation, in der der Erzähler auf die Reaktionen
der Zuhörer eingeht, als auch im Geschehen der Geschichte selbst, in der der
Erzähler versucht mit seiner Darstellung zu beeindrucken, zu unterhalten oder
zu überzeugen (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.93).
Das leicht veränderte Modell der kommunikativen Dimensionen
von Geschichten nach KAROLINA FRENTZEL u.a. ist angeregt durch das Modell der
zwischenmenschlichen Kommunikation nach FRIEDEMANN SCHULZ VON THUN. In dieser Darstellung verkörpern…
|
der Erzähler
|
die Funktion
|
des Senders
|
|
|
der Zuhörer
|
die Funktion
|
des Empfängers
|
|
|
die Geschichte
|
die Funktion
|
der Nachricht
|
|
(Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2006, Abb.2, S.29)
In der Methode des Geschichtenerzählens wird die Appellseite
einer Geschichte gegenüber den anderen drei Seiten einer Nachricht weniger
berücksichtigt bzw. sollte darauf geachtet werden, dass keine Appelle in einer
Geschichte enthalten sind. An Stelle des Appells rückt der Raum für kreatives
Denken in Planung und Mitdenken zur Problembeseitigung (Vgl. Frenzel, Karolina
/ Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.28). Der Appell im Modell der
zwischenmenschlichen Kommunikation wird somit, im Modell der kommunikativen
Dimension von Geschichten, zum Appell der Einladung eines Gedankenaustauschs.
(zu Aspekt 1.1)
Sachinhalt
Mit Geschichten lassen sich Sachinformationen umfangreich
schildern. Mit Geschichten kann Komplexität geschaffen oder reduziert werden.
Handlungen und Informationen werden in einen Kontext eingebettet, wodurch die
Verknüpfungen der einzelnen Elemente sichtbar werden (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.27).
(zu Aspekt 2.1)
Beziehung
Wer Informationen durch das Erzählen einer Geschichte
preisgibt oder persönliches offenbart, signalisiert damit Vertrauen und macht
dem Zuhörer ein Beziehungsangebot. Unter der Annahme, dass jeder Wissender und
Unwissender zugleich ist, wird mit einer Erzählung eine Einladung zum
miteinander Nachdenken und um Erfahrungen auszutauschen signalisiert. Durch das symmetrische
Beziehungsangebot, wodurch sich der Erzähler und der Zuhörer gegenüber das
gleiche Verhalten zeigen, sich gegenseitig kritisieren oder beide Seiten
Vorschläge machen und Ratschläge geben, können (Vgl. Schulz von Thun,
Friedemann, 1998, S.181), rücken in der Methode des Geschichtenerzählens
hierarchische Beziehungsdimensionen in den Hintergrund, sodass eine Kommunikation
auf Augenhöhe stattfindet (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2006, S.27-28).
(zu Aspekt 3.1)
Selbstoffenbarung
Geschichten schaffen auf zwei Ebenen Unmittelbarkeit. Die
erste Ebene kennzeichnet die Wahl mit einer Geschichte zu arbeiten bzw. mit
einer Geschichte als Kommunikationsform zu arbeiten. Die zweite Ebene
kennzeichnet die Wahl der Geschichte selbst und ihre Art der Erzählung. Spezifischer
betrachtet und bezogen auf die zweite Ebene der Unmittelbarkeit, haben Ich-Erzählungen
einen sehr großen Offenbarungswert, da sie von eigenen Erfahrungen berichten
(Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.29). Hierbei
offenbaren erzählte Geschichten, explizit die spontan erzählten Geschichten
junger Lerner, die Identität, das Bewusstsein, die Wünsche, Hoffnungen und
Ängste wie auch die Ideen und Erfahrungen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.7).
Der Erzähler offenbart, was er weiß und was er nicht weiß, was er fühlt und was
er nicht fühlt oder ob er den sozialen Code beherrscht und wie er
Sachverhalte/Inhalte bewertet (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2006, S.25 u. 27). In anderer Weise, unabhängig von einer
Ich-Erzählung, exponiert sich der Erzähler durch eine körpernahe Sprache in
Gestik und Mimik (darüber hinaus in Modulation der Stimme) und teilt über diese
Darstellung (Erzählweise) immer etwas über sich selber mit (Vgl. Merkel,
Johannes / Nagel, Michael, 1982, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/vorschulkinder.html).
(zu Aspekt 4.1)
Appell
Die Appellseite einer Nachricht ist in der Methode des
Geschichtenerzählens nicht gleichrangig zu den anderen drei Seiten einer
Nachricht zu sehen. Das heißt, Geschichten sollten keine Appelle im Sinne von
Handlungsanweisungen, Befehlen, unmittelbaren Aufforderungen oder die
Aufforderung, bestimmte Schlüsse und Konsequenzen aus der Geschichte zu ziehen,
enthalten (es sei denn, es versteckt sich eine besondere Botschaft in Form
einer Fabel oder didaktischen Erzählung hinter der Geschichte), sondern an
Stelle dessen den Raum für kreatives Denken in Planung, Mitdenken in der
Problembeseitigung und Reflektion öffnen und bereitstellen (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.28).
(zu A.1)
Erzähler
(1.1)
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|
Der Erzähler einer
Geschichte
|
|
teilt dem Zuhörer Sachinformationen in narrativer Form
mit.
|
(2.1)
|
|
Der Erzähler einer
Geschichte
|
|
Offenbart Informationen und signalisiert damit Vertrauen.
Der Erzähler macht dem Zuhörer damit ein Beziehungsangebot und drückt dem
Zuhörer aus, was er von ihm hält und wie er zu ihm steht (Symmetrisches
Beziehungsangebot).
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(3.1)
|
|
Der Erzähler einer Geschichte
|
|
stellt sich dem Zuhörer durch die Wahl einer Geschichte
als Kommunikationsform, durch die Art der Geschichte und durch die Art der
Erzählweise, selbst dar.
|
(4.1)
|
|
Der Erzähler einer
Geschichte
|
|
lädt den Zuhörer zum Mitdenken ein. Darüber hinaus, in
anderen Varianten des Geschichtenerzählens, zum Mitagieren und Miterzählen,
zum selbst gestalten und selbst Erzählen.
|
Im Zusammenhang mit den vier Aspekten einer Nachricht geht
beim Erzähler eine Vorstellung über die Reaktion des Zuhörers, die Vorstellung,
wie der Kommunikationspartner reagieren soll, mit einher. Zieldefiniert vorgetragene Geschichten sollten vom Erzähler
entsprechend in ihren Details und die Art des Erzählens geplant und eingeübt,
und die Geschichte so aufgebaut werden, dass sie die Zuhörer gedanklich
einnimmt, indem der Erzähler die Zuhörer von vorn herein mit in die Geschichte
einschließt. Während des Erzählens von Geschichten muss der Erzähler Rücksicht
auf die Signale der Zuhörer nehmen und sich zwischenzeitlich von den Zuhörern
das Interesse, mit der Erzählung fortzufahren, durch Aufforderung bestätigen
lassen, sowie bei z.B. hörerorientierten Geschichten, den Inhalt und den
Verlauf der Geschichte anhand der unmittelbaren Rückkopplung organisieren.
(zu B.1)
Zuhörer
(1.1)
|
|
Der Zuhörer der
Geschichte
|
|
versucht die Geschichte (Die Sachinformation) zu
verstehen. Der Zuhörer fragt sich, warum eine Geschichte erzählt wird? u.
wieso jetzt, zu diesem Zeitpunkt?
|
(2.1)
|
|
Der Zuhörer der
Geschichte
|
|
zeigt Betroffenheit durch die Botschaft des
Beziehungsaspekts und fühlt sich in einer speziellen Art behandelt
(Symmetrisches Beziehungsangebot).
|
(3.1)
|
|
Der Zuhörer der
Geschichte
|
|
reagiert auf den Erzähler, indem er versucht die
Darstellung des Erzählers personaldiagnostisch zu charakterisieren (Was ist
das für einer? Was ist mit ihm los?) oder sich der Erzählung eines Problems
offenbar zu werden (Wo ist das Problem?). Hierbei muss der Zuhörer dem
Erzähler während der Geschichte signalisieren fortzufahren.
|
(4.1)
|
|
Der Zuhörer der Geschichte
|
|
nutzt seinen Verstand, seine Phantasie, Gefühle,
Vorerfahrung und Weltsicht, um an der Lösung mitzuwirken oder interpretiert
die Botschaften, die in einer Geschichte enthalten sind, nach individuellem
Hintergrundwissen.
|
Der Zuhörer muss dem Erzähler erkenntliche Signale seiner
Aufmerksamkeit senden, dass heißt z.B. spontane Erzählungen junger Lerner ggf.
durch interessiertes Nachfragen oder unterstützenden Bemerkungen bzw.
Anregungen zum Fortschreiten animieren, um die Lerner in der Situation des
eigenen Erzählens verweilen zu lassen.
3.1.4 Mündliches Erzählen und Zuhören
Kinder übernehmen ihre Muttersprache im lebendigen Umgang
mit ihren Bezugspersonen in Form bzw. im Rahmen von Gesprächen. Der
teilnehmende Sprachgebrauch bezieht sich dabei auf das gemeinsame Handeln, der
dialogische Austausch erfolgt dabei immer unmittelbar und vollzieht sich in
kurzen Dialogbeiträgen. Im betrachtenden Sprachgebrauch (bereits im
Rollenspiel, aufbauend in Erzählungen) hingegen müssen Handlungen (die nie im
Hier und Jetzt stattfinden) sprachlich nachgestellt werden, wobei es sich dabei
um längere und zudem in sich geschlossene sprachliche Äußerungen handelt.
Hierbei geht es immer auch um das Textverstehen beim Hören von längeren in sich
geschlossenen Geschichten (Texten) (Vgl.
Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie
Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Kinder erwerben die Wortsprache über die körpersprachlichen
und lautlichen Äußerungsformen (Vgl.
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.25). Sie
lernen ein Verlangen mit einer Geste, verstärkt durch einen auffordernden Laut,
mitzuteilen, bevor sie sich sprachlich ausdrücken können. Kinder wenden in
dieser Entwicklungsphase, um einen Gegenstand zu erreichen, gestische
Ausdrucksmittel (verstärkt durch einen Laut) an, woraufhin die Bezugsperson den
Gegenstand beim Überreichen mit Lautgebilden verbindet. Über die Nachahmung
sich wiederholender Lautgebilden, d.h. eine immer wieder von der Bezugsperson
mit den gleichen Worten versehenden Handlung, werden diese Worte
(Begrifflichkeiten) von Kindern in Benutzung der Hinweisgebärde verwendet und
standardisiert. Nach und nach erwerben die Kinder dabei einen ausgeprägten
instrumentellen bzw. operativen Sprachgebrauch, indem gestische Hinweisgebärden
nach und nach in den Hintergrund rücken, und die Kinder begreifen, ihr
Verlangen allein über Wortsprache (in Begleitung illustrierender Gesten)
ausführen zu können (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.66-67).
Frühe Formen des erzählenden Sprechens finden sich bei
Kindern in ihren Selbstgesprächen vor dem Einschlafen. Hierbei verleiten Laut-
und Sprachspiele die Kinder zu einem Monolog, indem die Kinder, angetrieben und
ausgerichtet am Sprachklang, aneinander gereihte Laute, einzelne Wörter und
Redewendungen durch eigene Wiedergabe einverleiben. Das an dem Sprachklang ausgerichtete
erzählende Sprechen verhilft den Kindern hierbei, längere monologische
Äußerungen durchzuhalten (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.104). Hierbei fließen neben den reinen Laut- und
Wortäußerungen nach und nach erinnerte und imaginierte Handlungen ein. Die
Sprachäußerungen beginnen sich um Erinnerungen und Vorstellungen herum zu
gruppieren, womit sich die Sprachäußerungen zu erkennbareren Aussagen
zusammenfügen und das fortwährende erzählende Sprechen nicht mehr allein auf
den Sprachklang angewiesen ist. Vielmehr werden in der weiteren Entwicklung
über Sprachklänge Vorstellungen hervorgerufen, die wiederum nach einem
sprachlichen Ausdruck drängen (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.70-71). Je mehr die Faszination des Kindes am Laut
ihren Reiz verliert, setzen sich Bilder innerer Vorstellungen in den
Vordergrund, d.h. dass das kindliche Erzählen eher vom sinnlichen Eindruck
angeregt wird. Einhergehend beginnen sich Handlungen im erzählerischen Sprechen
immer mehr aufeinander zu beziehen, wobei sich geäußerte Zusammenhänge zu
diesem Zeitpunkt der Entwicklung eher zufällig bilden, und eine erst zum späteren Zeitpunkt der Entwicklung vorgestellte
Handlungsabfolge das Erzählen steuern wird
(Vgl. Merkel, Johannes, 2000,
S.80-81 u. 104). Die Steigerung einer einheitlichen und aufeinander aufbauenden
Handlungsfolge wird hierbei über die Übung, phantastische Einschübe auf die
Alltagshandlungen zu beziehen und diese über den Versuch einer Verknüpfung
einzugliedern, erlernt. Vorerst bilden sich Geschichten während dieser
Entwicklungsphase im Akt des Erzählens selbst (ausgerichtet an Klangfaszination
und inneren Bildern) (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.86).
Drei Themenbezüge, die den Erfahrungsbereich des Erlebens
eines Kindes entsprechen, können nach MERKEL für das anfängliche erzählerische
Sprechen ausgemacht werden. Zum einen sind es die Erinnerungen an den geregelten
Umgang mit Personen und Gegenständen des Umfelds (alltägliche
Handlungssequenzen und Alltagsverrichtungen), die durch Versprachlichung
bewusst gemacht werden. Im Weiteren Erinnerungen an Ereignisse die vom
geregelten Ablauf abweichen und ins Gedächtnis gerufen werden (neue
Erfahrungen), und zudem Phantasievorstellungen, d.h. die Beschäftigung mit
phantastischen und fiktionalen Gestalten, die keine direkte Vorlage zur
Lebenswelt liefern (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.72 u. 82). Entsprechend
werden erzählbare Geschichten gebildet. Dies geschieht zum einen über das
Nachvollziehen bzw. Nachzeichnen von Erlebnissen und zum anderen über das Ausphantasieren
erdachter Handlungen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.105). Hierbei wird im Erzählen zwischen den
drei Elementen, zweidimensional gedacht zwischen den Phantasievorstellungen der
eigenen inneren Welt und den Erfahrungen einer äußerlichen konventionellen Welt,
hin und her gesprungen bzw. phantastische Einschübe mit Alltagserfahrungen
vermengt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.83 u. 89). Unpassende und Zusammenhangslose Äußerungen entstehen hierbei laut
MERKEL durch die spontane Versprachlichung der inneren Bewusstseinstätigkeit.
Hierbei werden, unbeeinflusst von allen Strukturregeln, Bilder der inneren Wahrnehmung
in eine sprachliche und kommunikative Form verwandelt und unkontrolliert
wiedergegeben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.86 u. 205). Nach APPLEBEE nehmen kindliche Monologe
im weiteren Verlauf der Entwicklung die Form eines sozialen Austauschs an,
indem kindliche Selbstgespräche in ihrer imaginären Welt an fiktive Zuhörer
gerichtet werden (Vgl. Applebee,
1978, In: Merkel, Johannes, 2000, S.74). Hierbei bilden sich Schwerpunkte, an
die sich die Aussagen, weiterhin mit Wortassoziationen ohne Handlungslogik
vermischt, anlagern und sich zu einem anfänglichen Handlungsstrang ergänzen. Bilden
sich Schwerpunkte heraus, an denen sich Handlungen lose herumgruppieren, sich
nur lose aufeinander beziehen und in Begleitung von Laut- und Wortassoziationen
ohne Handlungslogik zu einem ungefähren Handlungsstrang ergänzen, handelt es
sich nicht um ausgeführte Erzählungen, gleichwohl um eine nach BRITTON
beschriebene >>verarbeitende<< Form der Sprachverwendung (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.75),
welches nach APPLEBEE einen >>betrachtenden<< Sprachgebrauch darstellt
und von daher nach MERKEL (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.88) als
Erzählungen gehandhabt werden muss. Hierüber lässt sich Vermuten, dass die
Fähigkeit des betrachtenden Sprechens einem frühen Alter einzuordnen ist und
sich das >>betrachtende<< Sprechen vermutlich schon vor dem >>teilnehmenden<<
Sprechen ausbildet (Vgl. Applebee, 1978, In: Merkel, Johannes, 2000, S.75).
Erzählende Passagen kindlicher Selbstgespräche dienen dabei der
sprachlichen Selbstfindung, und werden durch die Fähigkeit, Handlungen in
erzählender Rede wiederzugeben, ermöglicht. Nach STERN sind Kinder über den
narrativen Sprachgebrauch dazu gezwungen, ihre subjektive Perspektive, d.h.,
wer sie sind und wie sie es im Verhältnis zu den anderen sind, neu zu bestimmen (Vgl. Stern, 1989, In: Merkel, Johannes, 2000, S.76-77). Ein an die
Person selbstgerichtetes erzählendes Formulieren bzw. Ausformulieren innerer
Vorstellungen (psychische Eigenwelt) dient dabei der Selbstvergewisserung und um
die eigene Person in einer gewünschten Perspektive darzustellen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.77-78).
Hierbei werden innere Vorstellungen über das Erzählen nicht nur in eine
mittelbare Form gebracht, sondern versucht, der individuell erfahrenden
Innenwelt einen in der von verbindlichen Normen dominierenden Außenwelt gütigen
Ausdruck zu verleihen, in der sozialen Welt zu integrieren und ihr Anerkennung
zu verschaffen. Grenzziehungen zwischen Innen- und Außenwahrnehmung werden
hierüber gezogen und eher akzeptiert (Vgl.
Merkel, Johannes, 2000, S.148-149).
Das Greifverhalten des Kindes verändert sich im achten Monat
von einem instrumentellen Greifen hin zu einer Hinweisgebärde. Das
Greifverhalten wird hierbei weniger dringlich, während Kinder sich in dieser
Phase der Entwicklung zu einem Gegenstand ausstrecken, nehmen sie Blickkontakt
zu ihrer Bezugsperson auf (Vgl. Bruner, 1977, In: Merkel, Johannes, 2000, S.66). Illustrierende Gesten ergänzen in
der weiteren Entwicklung die zuvor erworbenen konventionellen Gesten des
Greifens und Zeigens, und bauen auf diese auf. Das Kind beginnt durch eigene
spielerische Gesten, bildliche Vorstellungen und Erinnerungen in körperliche
Bewegungen zu übersetzen und zu illustrieren (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.70). Das Kind lernt, Bildinhalte
kommunizierbar zu machen, ohne diese vollständig versprachlichen zu müssen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.183).
Neben dem Wortlaut sind der Sprechausdruck und die
Körpersprache in der Rhetorik von hoher Bedeutung. Wortlaut, Sprechausdruck und
Körpersprache wirken zusammen und machen den Sinn einer Äußerung deutlich,
womit sie mitbestimmend für die Gesamtwirkung der Sprache sind (Vgl. Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.24). Mündliches Erzählen verläuft entsprechend audiovisuell (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.176), der erzählte Text als eins der Ausdrucksmittel steht wie jede
andere mündliche Sprachäußerung in einem Kontext nonverbaler, akustischer und
körperlicher Zeichen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.41), die über ihre Mitteilung weitere Botschaften vermitteln (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.161). Nach McNEILL unterscheiden sich vier
Arten der Gestik. Diese teilen sich in deiktische Gesten, die auf einen
bestimmten Ort bzw. Richtung verweisen (zeigen), ikonische Gesten, die über die
bedeutungsvolle Beziehung zum Inhalt konkrete Handlungen nachstellen (z.B. eine
Spiralbewegung mit dem Zeigefinger beim Sprechen über einen Wasserstrudel),
Embleme, die auf Grund ihrer konventionalisierten bzw. sozial verbindlichen
Bedeutung nicht spontan im Redefluss gebildet werden (z.B. Daumen nach oben =
OK) und taktschlagende Gesten, wie
rhythmische Auf- und Abbewegungen mit der Hand, die vermutlich den Sprachrhythmus
dirigieren bzw. den Sprachfluss unterstreichen und zentrale Aussagen und
Absätze markieren (Vgl. De Ruiter, 1998, nach D. McNeill, 1992, In:
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.41 u. McNeill/Levy, 1982, In: Merkel, Johannes, 2000, S.162).
Hinsichtlich der einzunehmenden offenen Haltung, sieht
LURIJA neben dem Aspekt, dem Zuhörer in einer offenen Haltung zugewandter zu
sein, gerade die Möglichkeit, das
Formulieren bzw. Erzählen durch Gestik und Mimik zu unterstützen (Vgl. Lurija,
1982, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.25) bzw. nach KAROLINA FRENZEL u.a.
als Performanzen zur Verlebendigung der Geschichte zu nutzen (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.174). Erzählen
beschränkt sich nicht auf das bloße Sprechen bzw. auf den bloßen Wortlaut,
sondern wird immer durch illustrierende Gesten und Spieleinlagen untermalt. Die
Gestik ermöglicht es, sprachliche Informationen um bildliche und imaginative
Informationen zu ergänzen, indem innere Vorstellungen in eine mittelbare Formsprache
gesetzt werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.174). Neben
der Gestik bilden hierbei die Mimik (Nuancen des Gesichtsausdrucks) und die
Modulation der Stimme die Gefühle der Protagonisten ab, und machen die Inhalte
der Erzählung so für die Zuhörer sichtbar und greifbar (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.158). Eine vom Erzähler offen zugewandte
Haltung mit direktem Blickkontakt zu den Zuhörern ermöglicht den Zuhörern
entsprechend, die mimisch und gestisch eingespielten Untermalungen der
Lehrperson sichtbar und situativ sinnvoll (passend) aufzunehmen und ggf. zu
kopieren, worüber das Erzählen und Zuhören über das begleitend ausdrucksvolle
Ausagieren zu einem szenischen Spiel werden kann.
Nach CLAUS CLAUSSEN bedingen sich Erzählen, Zuhören und
Mitmachen gegenseitig, wobei neben dem Erzählen und Zuhören, speziell das
gestisch begleitende Ausagieren von Erzähltexten, das Erlernen und Behalten
neuer Informationen, nachhaltig stützen (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.40-42). Nach KENDON erhöht ein durch Gestik begleitendes
Reden die Merkfähigkeit und die Gedächtnisleistung (Vgl. Kendon, 1983, In: Merkel, Johannes, 2000, S.163). Nach RISEBOROUGH werden beim Hörer
durch begleitende Gestik visuelle Bilder erzeugt und hervorgerufen, womit die
Vorstellungsfähigkeit erhöht und vermutlich eine verbesserte Gedächtnisleistung
einhergeht (Vgl. Riseborough, 1981, In: Merkel, Johannes, 2000, S.163).
Nach DE RUITER beschränkt sich die gestische Ausdrucksweise
nicht auf eine bloße Begleiterscheinung des Sprechens. Der gestische Ausdruck
fügt der Äußerung nichts hinzu, sondern gestaltet den Sprechprozess mit, und
erleichtert den Abruf von Konzepten aus dem Gedächtnis (Vgl. De Ruiter, 1998,
In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.
40-41). Hierbei führt die Geste vor, wozu die Sprache im späteren Verlauf
ansetzt (Vgl. McNeil, 1986, In: Merkel,
Johannes, 2000, S.164-165). Nach
MARITA PABST-WEINSCHENK belegen Beispiele von Redeübungen, dass bei
geschlossener Haltung, in der die Gestik unterdrückt wird, vermehrt
Sprech-Unflüssigkeiten auftreten (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.43).
So wie Geschichten es erlauben die gelebte Gegenwart durch
das Präsentieren von Handlungen zu durchbrechen, durchbrechen Kinder, während
ihres spontanen Rollenspiels (spielerische Darstellung bzw. Präsentation), ihre
täglichen Erfahrungen, indem sie diese mit nachvollzogenen und ausgedachten
Handlungsweisen vermengen, die über die Erfahrungen hinaus gehen (Vgl. Merkel, Johannes,
Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap01).
Hierbei wird mit dem Rollenspiel eine besondere Weise der Sprachverwendung
ausgebildet, eine Sprachverwendung, die sich vom Handlungskontext zwischenmenschlichen
Sprechens (Sender und Empfänger) trennt. Hierbei müssen im spontanen
Rollenspiel Spielhandlungen und Rollen abgesprochen und diese im Weiteren
stellvertretend (präsentierend) dargestellt und umgesetzt werden, um darüber
hinaus, nach kurzen dargestellten Spielintervallen, zurück in das Gespräch zu
gelangen, um weitere Absprachen zu treffen (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband
Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Das sprecherische Moment der Spielsituation, welches sich als getrennt vom
Handlungskontext zwischenmenschlichen Sprechens darstellt, kann hierbei nach
MERKEL, auf Grund der Parallelen zum Erzählen, als ein in Szene gesetztes
Erzählen verstanden bzw. das spontane kindliche Erzählen als versprachtlichtes
Rollenspiel aufgefasst werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.153).
1
|
Nach SACHS spielen Kinder anfänglich mit Fiktionen, ohne
wirkliche Rollen und Handlungen. Kinder gebrauchen Gegenstände in
symbolischer Bedeutung und koordinieren die gemeinten Handlungen sprachlich
(kein soziodramatisches Spiel) (Vgl. Sachs, 1984, In: Merkel, Johannes, 2000, S.155).
|
Ist die Fähigkeit symbolischen Spielens ausgebildet,
können Erinnerungen und innere Vorstellungen von der sinnlich erfahrenen
Gegenwart abgelöst und spielerisch-darstellerisch nachgebildet werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.155).
|
2
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Hier folgt nach Sachs eine Übernahme von wechselseitigen
Rollen (soziodramatisches Spiel), wobei das Spiel selbst zum größten Teil aus
dem wechselnden Gebrauch von Gegenständen ohne zusammenhängende Erzählung
besteht (Vgl. Sachs, 1984, In:
Merkel, Johannes, 2000, S.155).
|
Werden Rollenmuster beherrscht, können Handlungssequenzen
kombiniert werden. Das Überblicken komplementärer Rollen wird möglich (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.155).
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3
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Im Weiteren wird nach SACHS das Spiel durch Absprachen gestützt,
womit einhergehend ein reicherer Rahmen für die Spielfiktion entsteht. Dieser
Rahmen beinhaltet einen höheren Anteil an Handlungselementen. Dennoch bleibt
die Entwicklung einer zusammenhängenden Erzählung begrenzt. Das Fehlen
gemeinsamer Kenntnisse und die Neigung, Handlungen eher den Spielgegenständen
unterzuordnen anstatt sie miteinander in
Verbindung zu setzen, ist weiterhin sehr präsent (Vgl. Sachs, 1984, In: Merkel, Johannes,
2000, S.155-156).
|
Erzählende Elemente, Handlungen und Ereignisse (die die
Erwartung des sozialen Umgangs durchbrechen) werden über die gegenseitige
Abstimmung in das Spiel eingefügt. Eingebrachte Einfälle reichern die
Spielhandlungen an, worüber sich die gemeinsamen Rollenspiele immer mehr zu
Erzählungen entwickeln (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.155).
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4
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Nach RUBIN/WOLF löst sich das Kind im Weiteren von der
unmittelbaren Gegenwart ab. Das heißt zusammengenommen, dass das Kind von der
anfänglichen Welt pragmatischen Handelns über die zwischenzeitliche Welt des
nachahmenden Handelns zur Welt des phantasierenden erzählerischen Handelns
wechselt (Vgl. Rubin/Wolf, 1979,
In: Merkel, Johannes, 2000, S.156).
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Die sich steigernden aufeinander aufbauenden
Handlungssequenzen weichen mehr und mehr von den Alltagshandlungen ab, wobei innere
Vorstellungen und Regungen in das Spiel überführt werden. Aus dem Rollenspiel
wird ein Phantasiespiel. Innere Vorstellungen können in die Außenwelt
gebracht und über das Spiel erfahrbar und mitteilbar gemacht werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.156).
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Ersteres Spielen kindlicher Entwicklung spiegelt sich im Zweckbefremden
von Gegenständen wieder, indem diese >>symbolisch<< benutzt bzw.
mit neuem Sinn bestückt, werden (Die Schüssel, die sich das Kind auf dem Kopf
setzt, wird zum Helm…verkehrt herum auf dem Tisch gestellt, zum Berg). Diese
einfachen Symbolsetzungen kennzeichnen dabei die sich entwickelnde Fähigkeit
des Kindes, sich nach und nach von der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung zu
lösen. Um im Rollenspiel Andere darzustellen (z.B. in körperlicher Bewegung),
bedarf es einer wesentlich komplexeren Wahrnehmung als auch einer komplexeren
Tätigkeit in der Darstellung bzw. Präsentation, und zudem, sich über einen
längeren Zeitraum von der sinnlich erfahrenen Gegenwart lösen, und die
verkörperte Rolle über einen längeren Zeitraum halten, zu können (Vgl. Merkel,
Johannes / Nagel, Michael, 1982, In: Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/vorschulkinder.html). Mit der
Entwicklung eines wechselseitigen Rollenverständnisses müssen Spielfiktionen gemeinsam in Kooperation gefunden,
ausgehandelt und eingebrachte Vorschläge in eine für alle befriedigende
Vorstellung eingeführt, werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.127). Das heißt, dass sich im szenisch
dargestellten Spiel die kommunikativen Abstimmungen in den Vordergrund schieben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.131), und sich Kinder hierbei >>spielend<< das hoch komplizierte
soziale Kommunikationsspiel aneignen bzw. zu handhaben lernen. Dabei stellen
sich die Kinder immer genauer auf die Erwartungen der Anderen ein, ohne dabei
die eigenen Ansprüche aufzugeben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Über
die wechselseitige Abstimmung regen Erinnerungen des einen Kindes das
Gedächtnis des anderen Kindes an, worüber erlebte Vorlagen durch verschiedene
Blickwinkel gesehen, und Erinnerungen und Phantasien über die Auseinandersetzung
in eine verständliche Form gebracht werden können (müssen) (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.120 u. 127). Hierbei werden Bedeutungen gemeinsam
ausgehandelt, d.h. eigene Erfahrungen und Vorstellungen mit den Erfahrungen und
Vorstellungen Anderer abgeglichen, und damit spezifische Muster angelegt, mit
denen sich die spielenden Kinder sich selbst und ihre Umwelt wahrnehmen (Vgl.
Merkel, Johannes, Beitrag in Theorie und Praxis der Sozialpädagogik
(Ersterscheinung), In: Merkels Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html). Eingebrachte Phantasien erbringen
hierbei ein bunteres und bewegteres Bild, machen die Spielfiktionen dadurch reichhaltiger
und erlauben ein intensiveres Erleben (Vgl.
Merkel, Johannes, 2000, S.127). Die
Einbringung verschiedenster Phantasien, erlaubt es den Kindern hierbei, für
einen längeren Zeitraum in der Spielfiktion (Vorstellungswelt) zu verweilen und
das Rollenspiel aufrecht zu erhalten (Vgl.
Merkel, Johannes, 2000, S.132). Mit der Übernahme einer Rolle, die es zu
verkörpern bzw. darzustellen gilt, wird versucht eine Sprache zu sprechen, d.h.
einen angemessenen Sprachduktus zu schaffen, der die zu verkörpernde Rolle
kennzeichnet und sich darüber gleichsam von der handelnden Sprechweise im
Umgang mit anderen Kindern oder Bezugspersonen abgrenzt (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim
Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel,
Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Darüber, das Kinder in ihren Rollenspielen
immer wieder andere Personen darstellen, erfahren sie die Kontinuität ihrer
eigenen Persönlichkeit (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Nach
SINGER und SINGER führt das spontane Rollenspiel hierbei zu einer
differenzierten Selbstwahrnehmung, indem >>Phantasie-Ichs<< und zu
verkörpernde Rollen angenommen werden, sich das Kind darüber immer mehr aus
seiner Umgebung herauslöst und verschiedene Möglichkeiten wahrnimmt, die sonst
von äußerlichen Situationen nicht gefordert werden. SINGER und SINGER vermuten
hierbei, dass Kinder einen Sinn dafür entwickeln, was man selbst im Vergleich
zu anderen möglichen Zuständen ist (Vgl.
Singer/Singer, 1990, In: Merkel,
Johannes, 2000, S.139). Über die
hierdurch gewonnene Selbstwahrnehmung entsteht gleichsam eine genauere
Wahrnehmung des Fremden, worüber Beziehungsfähigkeit entwickelt wird (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.139). Dabei
klären Kinder über die Darstellung innerer Vorstellungen innerhalb einer
Spielfiktion im Weiteren für sich den Unterschied zwischen der eigenen,
individuell erfahrenen Innenwelt und der von verbindlichen Normen dominierten
Außenwelt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.149). Hierbei kristallisieren sich
Spielfiktionen heraus, die von der vorgefundenen sozialen Wirklichkeit (deutlich)
abweichen (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.131-132), weniger strukturiert sind und keinen eindeutigen Abschluss zu
erkennen geben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.120).
Versteht man kindliche Rollenspiele als ein in Szene
gesetztes Erzählen, verschiebt sich in der Entwicklung des Kindes die
Gewichtung wesentlicher Bestandteile bzw. Merkmale, die das in Szene gesetzte
Erzählen vom Erzählen (im engeren Sinn) unterscheidet. Hierbei gewinnt die
betrachtende Position des Erzählers gegenüber der agierenden Position des
Mitspielers an wesentlicher Bedeutung (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.153). Das heißt, dass die sprachliche
Darstellung gegenüber dem Spiel die Führung übernimmt und sich die ausgespielte
Rolle auf die direkte Rede und gestisch-mimische Zeichen verkürzt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.217).
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In Szene gesetztes Erzählen (Rollenspiel)
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Erzählen
(Erzählen im engeren
Sinn)
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1
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Spielort u. Spielfiguren werden von den Akteuren festgelegt.
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Ort, Zeit und Helden werden vom Erzähler benannt.
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2
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Ein Ereignis setzt die Spielhandlung in Gang.
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Ein Ereignis setzt die Handlung der Geschichte in Gang
(Ereignis und Reaktion des Protagonisten).
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3
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Spielhandlungen können von Fall zu Fall unter Absprache geändert
werden.
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Der Erzähler ist eng am Strukturschema (Ordnungsschema von
Erzählungen) gebunden.
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4
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Sprachliche und spielerische Darstellung der Rolle. Handelnde
Figuren werden repräsentiert, Gegenstände und Requisiten in übertragender Bedeutung
eingesetzt (symbolische Verwendung von Gegenständen).
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Der Erzähler verlebendigt die Protagonisten durch
Modulation der Stimme und illustriert über Gestik und Mimik wichtige
Handlungen und Vorgänge (Direkte Rede und gestische Zeichen).
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5
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Das unmittelbare Vergnügen wird im Spiel ausgelebt (Bemerkungen
über das eigene Spiel).
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Das Unterhaltsame wird vom Erzähler reflektierend über Bewertungen
der erzählten Handlungsweisen geliefert (Evaluierende Kommentare).
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(Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.153-154).
Das in Szene gesetzte Erzählen (Rollenspiel) erlaubt den
Spielern, sich jederzeit in das Gespräch zurück zu begeben, um die
Handlungsfolge anders bzw. umzugestalten (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband
Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html), d.h. aus dem Rollenspiel
herauszutreten, um über das Gespräch auf einer >>Metaebene<< die
Spielhandlung und seine Fortführung auszuhandeln (Vgl. Merkel, Johannes,
Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap04).
Beim Erzählen im engeren Sinn hingegen muss ein abstraktes Handlungsschema mit
festgelegten Szenen ausgefüllt, d.h. die im Rollenspiel getroffenen Absprachen
zu einem sprachlichen Erzähltext ausgeweitet werden, damit die Erzählung von
den Zuhörern als eine Erzählung verstanden wird (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim Bundesverband
Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html
u. Beitrag in Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (Ersterscheinung), In: http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html). Die spielerische Darstellung der Rolle
bzw. die spielerische Repräsentation der Figuren wandelt sich an den entscheidenden
Stellen der Handlung zur Verlebendigung der Protagonisten, d.h. zu einem kurzen
Anspielen der handelnden Personen (Protagonisten). Der Erzähler verleiht den
Protagonisten hierbei über die Modulation der Stimme und den gestisch und
mimisch ausstaffierten Bewegungen eine jeweils typische Haltung und illustriert
über Gestik und Mimik weitere wichtige Handlungen und Vorgänge (Vgl. Merkel,
Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02).
Das kindliche Erzählen bleibt zu Beginn das Produkt des
gelungenen Augenblicks, d.h. abhängig von der Situation in der sie erzählen.
Die Situation bestimmt sich hierbei aus der Anregung phantastischer Einschübe,
und wie darauf folgend diese Einschübe im Zusammenwirken mit der Bezugsperson
(Zuhörer) in mittelbare Form (sprachliche und gestische Form) gebracht werden
kann (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.228). So wie das Kind kommunikative
Verhaltensweisen über die Nachahmung zu übernehmen lernt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.117), müssen
die Verhaltensweisen und Regeln (Struktur- bzw. Ordnungsschema von
Erzählungen), die dem Erzählen zu Grunde liegen und aktiv angewendet werden
sollen, über das Hören von Erzählungen und im Weiteren über das wiederholende
eigene Erzählen erfahren, aufgenommen und intuitiv gelernt bzw. übernommen
(bewusster wahrgenommen) werden (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett,http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap05). Über die Vorlagen der Bezugsperson (Hören und Nachahmen),
als auch über den eigenen Erzählversuchen, die durch die Bezugsperson mit
hilfreichen Einwürfen und Reaktionen begleitend werden, passen sich Kinder mit
ihrem unvollständigen Struktur- bzw. Ordnungsschema von Erzählungen nach und
nach einem kulturell verbindlichen Erzählmuster an (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.117). Die Bauformen, Muster und das kommunikative
Verhalten erzählenden Sprechens (Erzählerwerb) sind dabei mit dem zwölften Lebensjahr
endgültig abgeschlossen, und damit soweit verinnerlicht und verfügbar, dass
losgelöst vom gelungenen Augenblick, und ohne Zusammenwirken mit der
Bezugsperson, sicher und Modellgerecht erzählt werden kann (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.233).
Anmerkung zur
Entwicklung:
Über das Hören frei erzählter Geschichten nehmen Lerner mit
mangelnder Sprachbeherrschung das Ordnungsschema von Erzählungen bewusster
wahr, als es das Vorlesen von Geschichten gestattet. Schriftliche Erzählungen
sind in einer hoch stilisierten Schriftsprache verfasst, und lassen sich, da
schriftliche Erzählungen von Beschreibungen durchsetzt sind, die zugrunde
liegenden Strukturen eines Ordnungsschemas weniger gut erkennen. Frei
vorgetragene Geschichten hingegen wecken durch ihre gestische Erzählweise bei
Lernern mit mangelnder Sprachbeherrschung mehr Aufmerksamkeit hervor, und
erlaubt es den Lernern darüber hinaus, über die auf das sprachliche Verständnis
der Lerner zugeschnittenen Formulierungen, das Durchschauen der Strukturen des
Ordnungsschemas zu erleichtern (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap05).
Hierbei erweist sich das freie Vortragen von Geschichten durch eine
Bezugsperson hinsichtlich des Erlernens eines Ordnungsschemas im Vergleich zum spontan
improvisierten Rollenspiel unter Gleichaltrigen ebenfalls als Vorteil, da
anders als im spontanen Rollenspiel unter Gleichaltrigen, welches in seinen
Grundformen untereinander abgeschaut wird, das kulturell verbindliche
Ordnungsschema aus sicherer Quelle nachgeahmt und übernommen werden kann (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim
Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel,
Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Das Wissen um das Ordnungsschema von Erzählungen ermöglicht
es den Menschen schon zu Beginn sowohl im Erzählen selbst als auch beim Hören
einer Erzählung, eine Unterscheidung zwischen dem betrachtenden und teilnehmenden Sprechen zu treffen. Ein kulturell verbindliches
Ordnungsschema dient damit der Verständlichkeit (auch im eigenen Erzählen) und
sichert die wechselseitige Verständigung beim Erzählen (gegenseitige
Erwartungshaltung). Im Augenblick
des Hörens kann das Gehörte in sinnvolle, aufeinander bezogene Elemente
untergliedert, in dieser Form im Gedächtnis einverleibt und die Merkbarkeit
gesichert werden (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.188-189). MICHAEL
SCHEFFEL sagt: Erzählend überführt der Mensch Geschehen in Geschichten, in
denen Ereignisse auseinander und nicht bloß aufeinander folgen. Auf diese Weise
ist er in der Lage, zeitliche Sachverhalte zu organisieren und in einen
sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Neben dem Erinnern, Vergegenwärtigen und
Imaginieren von Ereignisfolgen dient das Erzählen also ganz allgemein der
Erklärung und damit der kognitiven Bewältigung von raum-zeitlichen Daten (Vgl.
Scheffel, Michael, In: Der Deutschunterricht H2 (2005) S.2). KONRAD EHLICH
führt aus: „Schon die elementarste, in der kindlichen Sprachentwicklung früh
ausgebildete […] Form des 'und dann…und dann…und dann…' ist nicht trivial. Die
Reihung von Ereignissen in eine sprachliche Reihung umzusetzen, verlangt vom
Kind die Fähigkeit, Zusammenhänge zu erkennen, Abfolgen zu bestimmen und
erzählend festzuhalten, unterschiedliche Ordnungsprinzipien zu erfahren und
sich und den Zuhörern zu vergegenwärtigen.“ (Vgl. Ehlich, Konrad, In:
Grundschule H.2 (2004) S.44) Strukturierung und Kohärenz haben dabei für junge
Lerner eine besondere Bedeutung. JOHANNES MERKEL führt aus: „[…] Der
Grundkonflikt erwächst aus dem Zusammenstoß der sozialen Alltagswelt mit der
bedrängenden, aus dem Unbewußten gespeisten Innenwelt. Für Kinder ist der
Gegensatz zwischen innerer und äußerer Wahrnehmung, den eigenen Phantasien,
Wunsch- oder Schreckbildern einerseits, […], und der festgefügten sozialen
Außenwelt, die sich aus allgemeinen und verbindlichen Bedeutungen
zusammensetzt, insgesamt bedrückend und schwer zu begreifen. Der Zusammenstoß
der beiden Lebenssphären wird immer wieder als rätselhaft und belastend
erfahren und stellt in sich schon so etwas wie einen Konflikt dar. Die
wachsende >>Kohärenz<< der Erzählungen verhilft dazu, die
phantastischen Einschübe immer besser in die Welt der sozialen Erfahrung zu
integrieren und damit zu einem einheitlichen Dritten zu machen.“ (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.234)
Anmerkung zur
Funktion:
Erlernte Planung strukturierten Sprechens bedeutet für
Kinder, längere aus dem Gespräch gelöste Äußerungen nach dem zugrunde liegenden
Strukturschema zu organisieren. Dabei erlernen sie, neben dem sich im eigenen
Erzählen in kulturell verbindlicher Weise mitzuteilen, längere, nach einem
Ordnungsschema strukturierte Redebeiträge zu organisieren, und sich damit die
Grundlage für ein allgemeines Textverstehen anzueignen. Allgemeines
Textverstehen wiederum ist Voraussetzung eigener Lese- und Schreibfähigkeit,
d.h. Voraussetzung sinngemäßen Lesens und sinngemäßen Verfassens eigener Texte (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap04
u. http://www. …html#kap05 u. Vortrag beim Bundesverband
Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07,
http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Beim mündlichen Erzählen (freies Sprechen) entsteht eine
Kommunikation als gemeinsames Produkt von Erzähler und Zuhörer. Gegenüber dem
schriftlichen Sprachgebrauch, ergibt sich bei einer Gesprächsituation ein
direkter Adressatenbezug und damit eine unmittelbare kommunikative Situation,
in der der Zuhörer den Erzähler durch Aufmerksamkeit und Äußerungen verbaler
und nonverbaler Art, wie z.B. durch das skeptische Hochziehen der Augenbrauen
(Reiz), beeinflusst (Vgl.
Bartnitzky, Horst, 2006, S.59 u.
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.45).
Entsprechend ergibt sich zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer ein Inhalts-
und Beziehungsaspekt, der beim schriftlichen Sprachgebrauch in dieser
persönlichen Form nicht zugegen ist. Einhergehend mit der Kommunikation als
gemeinsames Produkt, muss der Erzähler auf Grund der unmittelbaren Rückkopplung
ggf. auf Zwischenfragen antworten, was das Sprechen gegenüber dem Schriftlichen
provisorischer, additiver und
redundanter gestaltet (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.29). Um
Zwischenfragen stellen zu können, muss der Zuhörer konzentriert zuhören, was
voraussetzt, dass sich der Zuhörer unmittelbar innerlich mit dem beschäftigt,
was erzählt wird. Das freie Erzählen wirkt demnach reagierend, wobei der
schriftliche Sprachgebrauch, auf Grund der nicht gegebenen unmittelbaren
Rückkopplung, spekulativer Art ist (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2006, S.59). Wichtige
Unterscheidungsmerkmale zwischen mündlichem und schriftlichem Erzählen
kennzeichnen sich entsprechend über den Einsatz gestischer und mimischer Mittel,
wobei der Erzähler ebenfalls selbst auf Gestik und Mimik, wie auch auf die
Modulation der Stimme, hier jeweils als dramaturgisches Mittel eingesetzt,
zurückgreift (Vgl. Bartnitzky,
Horst, 2006, S.35). Über die Verbundenheit des mündlichen
Erzählens und der körperlichen Bewegung in Gestik und Mimik, sind sprachliche
Äußerungen, gegenüber dem schriftlichen Erzählen, wiederum für den Zuhörer verständlicher
und erleichtern zudem die eigene Äußerung gegenüber dem Schreiben (Vgl. Merkel, Johannes, Vortrag beim
Bundesverband Theaterpädagogik/Akademie Remscheid vom 28.04.07, In: Merkel,
Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/spracherziehung.html).
Erzählen und Zuhören fördern das Sprechdenken und das
Hörverstehen in verschiedenen Rede- und Gesprächsformen, wobei der Prozess des
Sprechdenkens und des Hörverstehens in der mündlichen Kommunikation immer
aufeinander bezogen sind. Gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch, wo der
Satzbau im Vorfeld gut überlegt sein muss, wird nach KLEIST der Gedanke beim
Sprechen erst allmählich verfertigt (Vgl. Kleist, 1805, In: Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.22), wobei das Formulieren und damit die Planung beim Sprechen
zeitlich begrenzt ist (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28-29).
Entsprechend verlaufen, gegenüber dem Denken und Schreiben, das Denken und
Sprechen zueinander parallel, wobei nach WYGOTSKI, zwischen einem Gedanken und
dessen Ausformulierung, eine innere Sprache steht, die sich auf die Hauptvorstellungen
beschränkt. Diese Hauptvorstellungen werden dann während des
Sprechdenkprozesses für den Zuhörer verständlich ausgeformt und wiedergegeben.
Voraussetzung für ein gelungenes Ausformulieren innerhalb eines Gesprächs ist
daher ein breiter Wortschatz und die Kenntnis vielfältiger Satzmuster (Vgl.
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.35-36). Gegenüber dem schriftlichen
Sprachgebrauch verwendet man beim Sprechdenken einfachere grammatische Formen
und einen abwechslungsreicheren Satzbau (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005,
S.17). Im Sprechen erbrachte Wiederholungen sind gegenüber dem schriftlichen
Sprachgebrauch erwünscht, damit wichtige Punkte beim Zuhörer verständlich
aufgenommen werden können (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.22). Im Sinne
des Erzählens entlasten die Wiederholungen den Erzähler im Moment eines
improvisierten Geschichtenerzählens von der Suche nach den richtigen Worten,
worüber die Zuhörer zugleich, auf Grund der formelhaften Art, Flüchtiges
rascher aufnehmen können (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/sprachfoerderung.html#kap02).
Im freien Sprechen wird die verbale Sprache nicht nur durch
nonverbale Hinweise ergänzt, sondern wirken die Formulierungen beim freien
Sprechen gegenüber dem schriftlichen Sprachgebrauch immer nur im Zusammenhang
mit der körpersprachlichen und sprecherischen Präsentation, und machen zusammen
den Sinn einer Äußerung aus (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.11 u. 16).
Die körpersprachlichen und sprecherischen Präsentationen repräsentieren die
gedankliche Gliederung der Inhalte, die Art, wie der Zuhörer einbezogen und wie
auf die Sprechsituation Bezug genommen, wird. Mündliche Äußerungen sind damit
kontextgebundener und situationsbezogener, da beim Sprechen der Verweis auf Gegenständliches
möglich und die Formulierung durch Körpersprache und Sprechausdruck ergänzt
wird. Das Verstehen einer Äußerung ist somit abhängig von der Art und Weise,
wie man eine Äußerung wiedergibt (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28).
So wie im Sprechdenken das Formulieren und damit die Planung
beim Sprechen zeitlich begrenzt ist, verhält es sich beim Hörverstehen
hinsichtlich der Aufnahme von Informationen gleichermaßen, da der
Rezeptionsvorgang nicht wiederholt werden kann, der Schall der Rede vergänglich
und die Merkzeit begrenzt ist (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.28-29).
Entsprechend muss das Geäußerte direkt verstanden (unterstützt durch die
formelhafte Art der Wiederholungen im Erzählen), und kann nicht, wie im
Schriftlichen, zurückblätternd wiederholt werden, womit der Zuhörer dem
Gedankenaufbau des Erzählers sofort folgen können muss (Vgl. Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.16). Beim Hörverstehen werden Äußerungen aktiv interpretiert,
und enthaltende Handlungsanweisungen durchgeführt bzw. bewusst abgelehnt. Nach
HÖRMANNS Analyse-durch-Synthese-Theorie wird das Gehörte entweder mit Hilfe des
Vorwissens synthetisiert oder analysiert (Vgl. Hörmann, 1976, In:
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.45-46). Diese Verarbeitungsprozesse verlaufen
weitgehend wechselseitig parallel und interaktiv, und lassen sich nach GUTJAHR
und KYRITZ in einen Top-down Verarbeitungsprozess (wissens-, konzept-, schema-
und erwartungsgeleitet) und einem Bottom-up Verarbeitungsprozess (daten- und
textgeleitet) unterteilen (Vgl. Gutjahr/Kyritz, 1985, In: Pabst-Weinschenk,
Marita, 2005, S.46). Entsprechend ist das Zuhören im Sinne des Hörverstehens
ein aktiver und intentionaler (ein in Absicht und zweckbestimmter) Prozess
(Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.44).
Unter aktivem Zuhören wird sowohl eine innerliche als auch
eine äußerliche Beteiligung der Zuhörer beim Erzählen von Geschichten
verstanden. Das Entstehen >>innerer Bilder<< bzw. das sich
>>aktiv ein Bild machen<< beim Hören von Geschichten kennzeichnet
hierbei die innerliche Beteiligung. Die äußerliche Beteiligung wird
gekennzeichnet durch Mimik, Gestik und den verbalen Ausdruck, wobei diese drei
letztgenannten Elemente sowohl >>verdeckt<< als auch bewusst
eingesetzt in Erscheinung treten können. Als >>verdeckt<< in
Erscheinung tretend meint, dass sich die innerliche Beteiligung über erkennbare
Zeichen, wie eben über die Mimik und Gestik oder den verbalen Ausdruck, äußert,
d.h. aus der Sicht des Erzählers, sich in den Gesichtern, in der Körpersprache
oder in Verlautbarung als automatisches Mitmachen der Zuhörer zu erkennen gibt.
Bewusst eingesetzte Formen äußerlicher Beteiligung umfassen im Rahmen einer
aktuell erzählten Geschichte das gezielte Ausagieren von Passagen der Handlung
mit Händen, Füssen und Ganzkörperbewegung als auch das gezielte Mitsprechen von
Wörtern, Sätzen, Textpassagen, Wiederholungen und Schlusssätzen (Vgl. Claussen,
Claus, 2006, S.40) bzw. dem
bewussten und gezielten Einbringen individuell geknüpfter Assoziationen der
Zuhörer, wobei letztere wiederum eher der innerlichen Beteiligung zuzuordnen
sind.
Aus einem bestimmten Blickwinkel heraus betrachtet, fungiert
die Lehrperson als Erzähler selbst, wobei sie neben dem Erzählen einhergehend
immer auch die Lerner als Zuhörer im Blick haben muss, um auf diese zu reagieren.
In einer ausgeprägten Form des Reagierens werden die Lerner dabei z.B. aktiv in
die Geschichte, und hier explizit in den Handlungsaufbau und den
Handlungsverlauf einbezogen, indem ihre geäußerten Vorstellungen (innere
Beteiligung, erkennbar gemacht über den verbalen Ausdruck im Sinne einer
Verlautbarung von Assoziationen) improvisierend in die Geschichte eingebaut
werden. Das heißt, aktives Zuhören kennzeichnet sich zum anderen darüber aus,
dass Lerner in der Methode des Geschichtenerzählens die Möglichkeit erhalten,
über wechselseitiges Interagieren, Ereignisse für sich sinngemäß zu
konstruieren, und sich ggf. darüber hinaus unmittelbar durch Verlautbarung am
Aufbau und am Verlauf der Erzählung oder weiterführend an Gesprächen, zu
beteiligen (Vgl. Claussen, Claus,
2006, S.12).
Nach ROGERS ist das aktive Zuhören für Gesprächstherapeuten
und nach GORDON für Erzieher eine wichtige Kommunikationsfähigkeit (Vgl.
Rogers, in Tausch, 1979, u. Gordon, 1972, In: Schulz von Thun, Friedemann,
1998, S.57). Hierbei steht in der Aufmerksamkeit des Empfängers primär die
Selbstoffenbarungsseite des Erzählers beim Hören einer Geschichte im
Vordergrund, in dem Bemühen, sich in die Gefühls- und Gedankenwelt des Senders
einzufühlen und deren Inhalte (Selbstoffenbarungsanteile) einfühlend zu
entdecken. Von hoher Bedeutung ist in diesem Fall, dass nicht diagnostizierend
oder entlarvend, d.h. wertend auf den Sender reagiert wird, sondern dem Sender
die einfühlsame Entdeckung gleichsam zurückübersetzt wird, sodass der Sender
mehr zu sich selbst kommt und verleitet wird, (weiter) zu erzählen (Vgl. Schulz
von Thun, Friedemann, 1998, S.57-58). Im übertragenden Sinn, bezogen auf das
Erzählen von Geschichten, heißt das, dass die Lehrperson das Erzählen und die
Gespräche der Lerner aufzugreifen versucht. Erzählungen werden durch gezieltes
Nachfragen an- und weiterleitet oder über >>verdeckte<< jedoch
erkennbare Zeichen das Verstehen und damit Wertschätzung zum Ausdruck gebracht
bzw. den erzählenden Lernern in ihrem Erzählen durch Interesse und Zustimmung
in Form eines erwartungsvollen Blicks oder eines zustimmenden Nickens bestätigt und sich damit innerlich am Gehörten
und damit in Form einer Anteilnahme beteiligt (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/zuhoeren.html).
Authentische Geschichten schaffen einen schnellen und
unmittelbaren Zugang zum realen Umfeld, indem sie an den Rahmenbedingungen der
Zuhörer in z.B. Arbeit, Schule, Freizeit (Hobbys/Alltag), Kommunikation etc.
anknüpfen und an die Beobachtungen, Erlebnisse und Erfahrungen der Zuhörer
anschließen (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006,
S.34-36). Hierbei sind authentische Geschichten immer konkret, da sie immer den
konkreten Kontext eines Ereignisses oder einer Ereignisfolge beinhalten. Sie
erzählen von konkreten Personen und ihrer konkreten Tätigkeit innerhalb eines
ganz bestimmten Umfeldes (im Gegensatz zu einer abstrakten Beschreibung von
Sachverhalten, welches theoretische Überlegungen (Fakten) als Ausgangspunkt
nimmt). Hierbei bringen authentische Geschichten Ideen auf den Punkt,
veranschaulichen neue Gedanken und erklären oder transportieren Erfahrungen wie
individuelle Erlebnisse und Erinnerungen. Sie schaffen einen unmittelbaren
Zugang zum realen Umfeld, indem sie an den Rahmenbedingungen anknüpfen, unter
denen die Zuhörer arbeiten, lernen und leben (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller,
Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.19/36-37 u. 195-196). Das Konkrete ist für
die Zuhörer nachvollziehbar und ermöglicht einen direkten Vergleich mit dem
eigenen Erfahrungsbereich und der eigenen Erlebniswelt. Hierbei fällt es den
Lernern über die mitgelieferte Anschlussfähigkeit leichter, persönliche
Kontexte beim Hören der Erzählung zu schaffen. Werden sodann aus persönlichen
Erfahrungen, Einschätzungen und Lebenshintergründen persönliche Zusammenhänge
beim Hören einer Geschichte geschaffen, identifizieren sich die Zuhörer
verstärkt mit der Geschichte, und ermöglichen so einen intensiveren
Lernprozess. MARITA PABST-WEINSCHENK führt aus: „Richtiges Zuhören setzt
voraus, dass wir und innerlich mit dem beschäftigen, was wir hören, dass wir
versuchen, es auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen nachzuvollziehen,
um es zu verstehen.“ (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.44). Über das
Hineinversetzen in die geschilderte
Welt ist es den Zuhörern möglich, präzise Fragen zu stellen und einer anschließenden
Diskussion (formell oder informell via Gespräch) mehr Anteilnahme und Teilhabe
zu haben. Dabei macht der Erzähler über die Authentizität einer Geschichte dem
Zuhörer das Angebot, sich über das Konkrete und Reale, dem Hier und Jetzt des
Zuhörers, zu verständigen bzw. über eine Realität, die die Zuhörer aus ihrer
Umgebung oder Erlebniswelt teilen, zu sprechen. Dabei bringen authentische
Geschichte über ihren konkreten Kontext automatisch die Frage nach den
Realisierungsmöglichkeiten und den Bedingungen und Voraussetzungen mit sich,
und zeigen auf oder geben Hinweise darüber, dass etwas unter bestimmten
Umständen realisiert werden kann bzw. realisiert werden konnte. Der Gebrauch authentischer Geschichten
zu einem bestimmten Thema versachlicht damit die Diskussion von vornherein, die
ggf. im Anschluss an die erzählte Geschichte folgt (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.35-38).
Möchte man einen engeren Rahmen setzen, um z.B. Themen aus
dem beruflichen/schulischen Feld oder die Interessen der Zuhörer mit der
Geschichte zu verbinden, um Ideen und Lösungen aus dem jeweiligen Feld zu
erhalten oder Botschaften zu vermitteln, bieten sich zum Erzählen entsprechend
authentische Geschichten an. Klare Botschaften
oder weiterführende Zielsetzungen (das, was über die Geschichte hinaus geht)
müssen hierbei durch die Vorbereitung im Erzählen und einem durchdachten Bau
der Geschichte geschickt herauskristallisiert werden. Geschichten sollten dabei
so geschlossen und schlüssig sein, dass man die Geschichten als Zuhörer ohne
weitere Erklärung versteht und gleichzeitig offen genug, um als Angebot zum
Assoziieren, Mit- oder Weiterdenken zu fungieren. Entsprechend sollten
Geschichten eng genug sein und einen bestimmten Themenbereich setzen, um
Orientierung zu geben, jedoch weit genug, um verschiedene Sichtweisen und
Fokussierungen der einzelnen Zuhörer zuzulassen (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S. 182-183). Das heißt auch, dass
neben der eigenen Botschaft, die man zum Ausdruck bringen möchte, die
Assoziationen der Zuhörer als ebenso wichtig, und hierbei nicht als richtig
oder falsch, anzusehen sind. Die Assoziationen der Zuhörer sind, wie die
Geschichte selbst, ein wichtiger Teil der Methode des Geschichtenerzählens,
gerade dann, wenn sich die Möglichkeit bietet, mit den Zuhörern über die
Geschichte zu sprechen. Als Erzähler sollte man entsprechend das, was man mit
der Geschichte ausdrücken will, nie höher bewerten als das, was die Zuhörer mit
der Geschichte assoziieren, und somit die Botschaft nie korrigieren, indem man
die Botschaft im nachhinein (richtig) erklärt (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller,
Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.182-183). „Wer auf seine Geschichte und die
Intelligenz seiner Zuhörer vertraut, wird nie restlos drüber aufklären, welchen
Sinn seine Story hat, sondern dem >>zuhörenden Verstand<< etwas
übrig lassen, was ihn beschäftigt und fordert.“ (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.32).
Trotz gesetzten engeren Rahmens und den damit verbundenen Versuch
der >>Assoziationseingrenzung<<, ist zu bedenken, dass die Zuhörer
ihre Assoziationen beim Hören von Geschichten jeweils aus einem individuellen
Erfahrungshintergrund heraus knüpfen. Neue Informationen werden nach bestimmten
Strukturen und Kategorien (Wahrnehmungsweisen) eingegliedert und bewertet, Strukturen
und Kategorien, die auf Basis früherer Wahrnehmung gebildet wurden. Hierbei
bilden die Sinneseindrücke (die zuhörende Erzählung) den Rohstoff, die im
Weiteren über bzw. durch feststehende Strukturen und Kategorien verarbeitet werden,
welches zusammengenommen die Wahrnehmung kennzeichnet. Das heißt, dass alle
Wahrnehmung von Strukturen und Kategorien geprägt ist bzw. gesteuert wird. Aus
der Gewöhnung (kulturelles Umfeld) gebildete und bestehende Wahrnehmungsweisen heraus
entstehen entsprechend unterschiedliche Sichtweisen und Sinngebungen, d.h. individuell
geknüpfte Schlussfolgerungen des Gehörten (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/wahrnehmung.html).
Anmerkungen zu
authentischen Geschichten:
Wie in dem Punkt Bestandteile und Bauweisen von Geschichten
noch aufgezeigt wird, unterliegen Geschichten einem kulturell gültigen Bauplan
bzw. Schema. Ein Geschichtenschema dient dem Zuhörer zum einen, die Geschichte
überhaupt als Geschichte zu erkennen, und zum anderen, über die Struktur des
Aufbaus, den Inhalt (das Erzählte) folgerichtig zu entziffern. Das heißt, dass
Geschichten, die auf erlebte oder gehörte Erlebnisse basieren, immer nur bedingt
authentisch sind bzw. sein können, da der Erzähler hinsichtlich seiner
Präsentation, die erlebten oder gehörten Handlungen dem kulturell gültigen
Geschichtenmuster anpassen muss, indem der Erzähler die entsprechenden
Handlungen umstellt und verändert, d.h. die >>wirklichen<<
Erlebnisse umformt, ausgestaltet oder reduziert, um darüber eine präsentative
und wirkungsvolle Erzählung zu gewährleisten. Hierbei ist im Weiteren darauf
hinzuweisen, dass schon im konversationellen Erzählen die Reaktionen der Zuhörer,
als auch das zwingende Füllen von Erinnerungslücken, den Verlauf und den Inhalt
der Erzählung mitbestimmen. Hierbei übergeht der Erzähler potenziell
langweilige Details und schmückt dabei wiederum andere Passagen, die die
Zuhörer in die Geschichte hineinziehen sollen, aus. Hierbei wird ggf. die
Reihenfolge der Ereignisse vom Erzähler umgestellt, um eine bessere Wirkung zu
erzielen, Erinnerungslücken immer mit wirkungsvollen und kausalitätsgerechten
Einbringungen gefüllt. Beobachten lassen sich die im konversationellen Erzählen
gebrachten Umformungen nicht (kaum), da in der Erinnerung nicht das
>>tatsächliche<< Erlebnis abgespeichert wird, sondern dieses in
Form einer Erzählung geschieht. Hierbei passt sich die gleiche Erzählung
hinsichtlich einer wirkungsvolleren Form der Erzählung von mal zu mal, d.h. im
wiederholenden Erzählen, mehr und mehr an (Vgl. Merkel, Johannes, Merkels
Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/geschichten.html).
Der positive Nebeneffekt über das Erbringen eines Kontextes
über das Erfahrungswissen der Zuhörer ist das unvermeidliche Erzeugen einer
symmetrischen Kommunikation. Es herrscht eine Gleichheit zwischen den
Kommunikationspartnern, da im Erfahren, Erleben und Beobachten jeder ein
eigener Experte ist, und entsprechend jeder eine eigene Geschichte zum Thema
beitragen kann (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann,
2006, S.27-28).
Geht es um die Glaubwürdigkeit des Erzählens und um die
Glaubwürdigkeit der Geschichte, vermitteln authentische Geschichten Sicherheit,
da sie durch das Befragen von Zeugen, oder, sofern sich die Geschichten im
eigenen Erfahrungsbereich oder der Erlebniswelt widerspiegeln, mit Hilfe der
eigenen Beurteilungsfähigkeit (Selbsterfahrung), überprüfbar sind. Hiermit
bekommt der Zuhörer durch das Hinterfragen der Plausibilität und dem
Hinterfragen der Logik der Ereignisse und Zusammenhänge die Möglichkeit, die
Geschichten auf ihre Wahrscheinlichkeit hin zu überprüfen (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.36-37).
Werden Geschichten erzählt, um grob formuliert in ein Thema
einzuführen, mit dem sich die Zuhörer während und im Anschluss der Geschichte
auseinandersetzen sollen (engerer Rahmen), ergibt sich bei fiktiven Geschichten wie z.B. Märchen, Fabeln, Sagen und
literarische Erzählungen die Problematik einer Komplexität von Bezügen, d.h.
das Problem einer zu weit gefächerten Assoziationsvielfalt und -breite. Eine
weitere Problematik fiktiver Geschichten zeigt sich hierbei in der nicht
gegebene direkte Anbindung gemeinsamer Realität von Erzähler und Zuhörer, d.h.
dass ohne diesen konkreten Kontext gemeinsamer Realität (den authentische
Geschichten mit sich bringen) eine zu hohe Interpretationsmöglichkeit der
einzelnen Zuhörer besteht und in Folge dessen bei den Zuhörern
unterschiedlichste und nicht voraussehbare Assoziationen ausgelöst werden, die
einer Themenbehandlung im engeren Rahmen nicht dienlich sind (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.34-35).
Aus einem anderen Blickwinkel heraus betrachtet, spricht
SCHULZ, im Sinne eines Märchens, von einem mittleren Maß an Komplexität fiktiver Geschichten (Vgl. Schulz,
Gudrun, 2005, S.19). Für Märchen kennzeichnend sind dabei bestimmte Faktoren,
die sich in der Dominanz der Handlung, den Verzicht auf detaillierte
Beschreibungen, die Vorliebe für das Formelhafte wie auch die
Eindimensionalität und Isolation des Helden, zeigen (Vgl. Wardetzky, 1992, In:
Schulz, Gudrun, 2005, S.19).
Dominanz
der Handlung
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Dominanz der Handlung meint, dass es sich nach LÜTHI in Märchen um ein wieder
erkennbares allgemeines Schema handelt, und sich in Form von Kernvorgängen
wie Schwierigkeiten/Überwindung, Kampf/Sieg und Aufgabe/Lösung, darstellt, wobei
er in diesen Kernvorgängen menschliche Verhaltensweisen und Unternehmungen
erkennt (Vgl. Lüthi, 1979, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.25).
Allgemeines
Märchenschema (In fünf Kategorien)
Phase I berichtet über das Eingangsereignis. Die Situation des
Helden wechselt, der Held wird veranlasst ein Ziel zu erreichen, ggf. eine
Änderung des momentanen Zustands zu bewirken. Hierbei folgt auf die
Veranlassung in Phase II die innere Reaktion des Helden. Die Phase III kennzeichnet im Weiteren den
Hauptbestandteil, und kann als Kategorie
des Versuchs aufgefasst, werden. Hierin wird der Held motiviert eine
Reihe von offenen Aktionen auszuführen, und sich an diesen zu probieren,
worüber sich in Phase IV als Konsequenz zu erkennen gibt, ob der
Held sein Ziel erreichen bzw. eine Änderung des momentanen Zustands bewirken,
konnte. In Phase V schließt sich
der Verlauf als Reaktion in Form
verschiedener Informationstypen. Hierbei können emotionale und kognitive
Antwort auf die Erreichung des Ziels gegeben oder Ereignisse, die sich direkt
aus der Zielerreichung ergeben genannt, werden. In einer weiteren Variante
schließt sich dabei eine zusammenfassende Moral an, die darüber berichtet,
was der Held in der Erreichung des speziellen Ziels gelernt hat bzw. die
hinweisend ermahnt, die Bedeutungslosigkeit des angestrebten Ziels zu
bedenken. Neben dem formalen Operationsschema einer klassischen
Märchenstruktur, kennzeichnet das Märchen im Weiteren die Darstellung des im
Innern des Helden ablaufenden Prozesse (Vgl. Stein/Trabasso, 1982, In:
Merkel, Johannes, Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/geschichten.html).
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Verzicht auf detaillierte Beschreibungen
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Der Verzicht auf detaillierte Beschreibungen lässt sich z.B.
in den Andeutungen des Ortes, da wo das Märchen spielt, erkennen. In der
Regel finden Märchen an nicht weiter erläuterten Orten wie z.B. im Wald, bei
einem Brunnen oder in einem Turm etc. statt (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.27-28).
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Vorliebe für das Formelhafte
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Die Vorliebe für das Formelhafte meint die Antithesen, die
sich z.B. in schön und hässlich, fleißig und faul, klug und dumm etc. zeigen
(Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.27-28).
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Eindimensionalität u. Isolation des Helden
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Eindimensionalität meint, dass der Held (Protagonist)
zumeist der menschlich-diesseitigen Welt angehört (Bei dem Märchen
>>Der Froschkönig<< ist es die Königstochter), wobei die
jeweiligen Gegner oder Helfer, die im Märchen immer auf den Helden bezogen
sind, der Außenmenschlichen Welt angehören (Bei dem Märchen >>Der
Froschkönig<< ist es der Frosch) (Vgl. Lüthi, 1979, In: Schulz, Gudrun,
2005, S.25). Über diese mitgegebene Isolation des Helden können sich die
Lerner explizit auf den Helden des Märchens konzentrieren und den jeweiligen
Weg des Helden gedanklich mitverfolgen (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005,
S.26-27).
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Im Weiteren entspricht die im Märchen gegebene Polarisation
in gut und böse und der entsprechende Sieg über das Böse laut SCHULZ dem
Gerechtigkeitsempfinden junger Lerner, womit dieses Gerechtigkeitsempfinden
einhergehend bestärkt wird (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.20). Explizit junge
Lerner erfahren sich selbst in Märchen, da gerade in märchenhaften Erzählungen,
die Kleinen und Schwachen Gefahren überwinden müssen (subjektiv empfundene
Machtverhältnisse), dieses in der Regel auch gelingt, und den Lernern dadurch
vermittelt wird, dass es Gefahren im Leben gibt, die überwunden werden können
(Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.13). Märchen enden, nach Überwindung diverser
Gefahren und Schwierigkeiten, in der Regel positiv für den Protagonisten
(Märchen enthalten eine positiv-optimistische Erzählweise), wobei sich die
Lerner an positiv besetzt erfahrenen Emotionen vorangegangener Märchen erinnern
und dieses Erleben mit einem neuen Märchen in Beziehung setzen. Nach WARDETZKY
bilden Lerner bei der Rezeption (Interpretation) von Märchen emotionale
Schemata aus, um ihren emotionalen Erfahrungsbereich zu strukturieren (Vgl.
Wardetzky, 1992, In: Schulz, Gudrun, 2005, S.13-14).
Nach LÜTHI entspricht das Märchen den Bedürfnissen des
kindlichen Geistes und ermöglicht den Lernern das Üben ihrer
Vorstellungsmechanismen. Bei raschen Übergängen oder Verwandlungen der
Märchenfiguren, die in Märchen gang und gebe sind, denken sich die Lerner in
die Situation hinein und erleben diese mit großer Intensität (Ausbildung der
Fantasie und Vorstellungskraft) (Vgl. Lüthi, 1995, In: Schulz, Gudrun, 2005,
S.19). Hierbei entwickeln gerade jüngere Lerner beim Hören fiktiver Geschichten
Vorstellungsbilder, die mit eigenen Assoziationen, Gefühlen und Stimmungen
besetzt und verknüpft werden (Vgl. Schulz, Gudrun, 2005, S.12). Ein übermäßiger
Konsum in Form eines inaktiven Hörens
von Märchen behindert jedoch die produktive Phantasie (Vgl. Merkel, Johannes,
Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/maerchenbrauchen.html).
Für jüngere Lerner ist es beim Hören von Geschichten wichtig, und dieses
schließt Märchenerzählungen mit ein, sich während der Erzählsituation über ihre
Assoziationen, die aus ihrer alltäglichen Wahrnehmung stammen oder sich auf die
unmittelbaren Märchenphantasien ergeben, zu äußern (Vgl. Merkel, Johannes,
Merkels Erzählkabinett, http://www.stories.uni-bremen.de/erzaehlen/ton.html), und über die interaktive Variante des
Geschichtenerzählens, in der die Lerner den Geschichtenaufbau und den
Geschichtenverlaufs unmittelbar während der Erzählsituation mitbestimmen, ihre eigenen
Phantasiegeschichten kreieren.
Nach QUASTHOFF steht im Mittelpunkt einer Geschichte stets
ein >>Ereignis<< bzw. eine >>Ereignisfolge<<, die
gewissen Minimalbedingungen von Ungewöhnlichkeit entsprechen muss (Vgl.
Quasthoff, 1980, In: Claussen, Claus, 2006, S.17). Neben dem Element des
>>Ereignisses<< bzw. der >>Ereignisfolge<< bestehen
nach KAROLINA FRENTZEL u.a. Geschichten aus den Elementen des Protagonisten
(der ein Ereignis erlebt), einer Anfangssituation (Ereignis), einer
Endsituation (das Ergebnis des Ereignisses), und dem Zwischenliegenden von
Anfang und Ende (Transformation bzw. Ereignisfolge) (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.76). Das heißt, dass die Grundform
einer jeden Geschichte einem Dreischritt nachgeht. Dieser besteht aus dem
>>Anfangszustand<<, in der der Ort, die Zeit und der Held benannt
und die Situation, in der sich der Held befindet oder hineingerät, geschildert,
wird, der >>Veränderungsphase<<,
in der das Ereignis in das Leben des Helden eingreift und den Helden zur
Reaktion zwingt, zum Handeln auffordert um sich mit dem Ereignis
auseinanderzusetzen und sich zu bewähren,
und dem >>Endzustand<<,
in der der Held die Auseinandersetzung zu einem Ergebnis bzw. die Geschichte zu
einem Schluss bringt (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2004, S.273-274 u. Merkel,
Johannes, 2000, S.190).
Das heißt zusammengenommen, und in Bezugnahme auf BRITTONS
Unterscheidung des teilnehmenden und betrachtenden Sprechens, dass die
Erzählung vom Erzähler durch den Übergang in das betrachtende Sprechen aus der
laufenden Gegenwart ausgegrenzt werden muss, um im Gebrauch der Rolle des Beobachters,
den Held, die Zeit und den Ort der Handlung zu benennen, ein Ereignis in das
Leben des Helden einfallen und sich diesen damit auseinandersetzen zu lassen, um
diese Auseinandersetzung im Verlauf zu einem Ergebnis zu führen, womit der
Erzähler zurück in die Rolle des Teilnehmers verfällt, und damit zu erkennen
gibt, die zuvor verlassene Gegenwart wieder betreten zu haben (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.190).
Im Mittelpunkt einer jeden Geschichte steht zumindest eine
Person, die die logisch, kausal verknüpfte Abfolge der Ereignisse erlebt oder
miterlebt hat. Neben dem Protagonisten treten in der Regel noch andere Figuren
auf (Nebendarsteller), die jeweils eine bestimmte Rolle in der Geschichte
verkörpern (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006,
S.88 u. 90).
Die Grundvoraussetzung für das Interesse an vorgetragenen Geschichten
ist die Identifikation mit dem Protagonisten (Held). Das heißt, dass der
Protagonist zum einem in seinem Handeln (Zielerreichung, Problemlösen, in
seinen Ideen) ein erkennbares Merkmal haben und dem Zuhörer ähnlich sein
sollte. Zum anderen sollte der Kontext, die Situation, in der sich der Held
befindet, für den Zuhörer ähnlich oder zumindest interessant sein (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.88). Erzählt
wird mit einer Geschichte der Veränderungsprozess, die Transformation von
Zustand A zu Zustand B. Der Protagonist löst die Transformation zwischen
Anfangs- und Endzustand aktiv oder passiv aus, durchlebt oder erleidet die
Transformation und steht somit im Mittelpunkt des Veränderungsprozesses und
damit im Mittelpunkt der Geschichte (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2006, S.90). Der Protagonist kann zum einen der Erzähler
selbst (Erzählweise in Ich-Form) oder eine Gruppe (Erzählweise in Wir- Form)
und zum anderen der Weggefährte des Protagonisten, sein, womit der Erzähler zur
Nebenfigur wird (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann,
2006, S.90-92). Die Erzählung aus der Sicht einer Nebenfigur birgt den Vorteil
der größeren Distanz des Erzählens zum Geschehen, da der Protagonist
kommentiert und kritisch reflektiert werden kann. Mit wachsender Distanz
fungiert der Erzähler als Nebenfigur des Protagonisten immer mehr zum
Berichterstatter, wobei er hierbei im gleichen Maße an Authentizität und damit
an Glaubwürdigkeit einbüßt (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.92).
Die Grundlage einer Geschichte ist immer ein Ereignis,
welches ein Erlebnis, was geschehen ist oder geschehen könnte, wiedergibt (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.19). Kindliche
Selbstgespräche beruhen auf Ereignisse, die sich zum Erzählen anbieten. Hierbei
kennzeichnet ein phantastischer Einschub, der in die geordnete Alltäglichkeit
(Alltagsverrichtungen) einbricht, das auslösende Ereignis. Dieser phantastische
Einschub steht unvermittelt im losen Raum und muss in einen sinnvollen und in
sich schlüssigen (kausalen) Ablauf integriert werden (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.88).
Die Integration, und damit die Frage, ob sich ein Ereignis (phantastischer
Einschub) zum Erzählen anbietet, ist davon abhängig, inwiefern das unerwartete
Ereignis an Bedeutung durchscheinen lässt. Je nach dem, entsteht eine
entsprechende Spannung, die aus dem unerwarteten Ereignis eine Geschichte werden
lässt (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.199).
Es gibt oftmals mehrere Erlebnisse in einer Geschichte, wobei sich immer ein zentrales Ereignis als
der wichtigste Dreh- und Angelpunkt, wie z.B. eine Schwierigkeit die überwunden
werden musste, herauskristallisiert. Kleinere Ereignisse, die mit einer zweckorientiert
vorgetragenen Geschichte erzählt werden, sollten sich auf das zentrale Ereignis
beziehen und um dieses gruppiert sein. Geht
mit dem Erzählen einer Geschichte eine Absicht einher wie z.B. zu motivieren,
Wissen, Werte oder Visionen zu vermitteln oder einen Sachverhalt zu
illustrieren, sollte die Erzählung auf den Kern fokussiert werden. Einhergehend
sollten Ereignisse, die mit dem Dreh- und Angelpunkt nichts zu tun haben,
gestrichen werden, zumal eine authentische Geschichte nichts an ihrer
Authentizität verliert, wenn nicht minutiös erzählt wird. Unwichtige Details provozieren
vielmehr unnötige Fragen der Zuhörer, lenkt in Folge dessen die Zuhörer vom
Kern der Geschichte ab und führt sie von der Botschaft der Geschichte oder mit
der gewollten Fragestellung zum weiteren Nachdenken, weg (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.53-55 u. 57).
„Nicht alles, was
echt ist, will ich sagen, doch was ich sage, soll echt sein.“ (Vgl. Ruth
Cohn, 1979 In: Schulz von Thun, Friedemann, 1998, S.120)
3.1.9.4 Vorher-Nacher-Effekt (Transformation) (Element
des Zwischen Anfang und Ende)
Neben den formalen Anfangs- und Endpunkten hat der Zuhörer bei
bestimmten Folgen von Handlungen, Erlebnissen und Ereignissen, ein Gefühl für
das natürliche Ende einer Geschichte. Das gefühlte Ende ist dann erreicht, wenn
alle Fragen zu Beginn oder während der Geschichte beantwortet wurden oder ein
erkennbarer Veränderungsprozess während des Verlaufs der Geschichte
stattgefunden hat. Das heißt, dass sich der Endzustand vom Anfangszustand
unterscheiden muss, damit die Geschichte für die Zuhörer interessant ist (Vgl.
Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.73 u. 76). Was
als Ende einer Geschichte erwartet wird, hängt entsprechend stark von ihrem
Anfang und ihren aufgeworfenen Fragen oder den Problemen, die zu Anfang
überwunden werden mussten, ab. Es geht demnach im Erzählen von Geschichten
immer auch um die Differenz zwischen dem Anfang und dem Ende einer Geschichte,
also z.B. um die Botschaft einer Lösung oder Veränderung, die durch die
Transformation (Differenz zwischen Anfang und Ende) deutlich vermittelt bzw.
erzählt und nicht erklärt wird. Die Triebfeder der Transformation ist das
zentrale Ereignis, wie der Konflikt, den es zu lösen gilt, oder das Problem,
was gemeistert werden muss (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael / Sottong,
Hermann, 2006, S.75/79/82-83). Das zentrale (auslösende) Ereignis
(herausragendes Ereignis oder überraschender Einfall), als Triebfeder benannt,
kennzeichnet MERKEL als Eckstein, der jede Erzählung in Gang bringt und das
gesamte Gefüge trägt. Dieser Eckstein muss >>gesetzt<<, und um den
Eckstein herum einzelne Bausteine in bestimmter Reihenfolge angefügt, werden
(Vgl. Merkel, Johannes, 2000,
S.195-196). Dadurch gewinnt das formale Operationsschema eine in ihm angelegte
Dynamik, indem mit dem auslösenden Ereignis zugleich die Frage eines
Ergebnisses bzw. einer Lösung aufgeworfen, d.h. ein schlüssiges Ende der
Erzählung erwartet, wird. Damit ergibt sich eine auf den Ablauf der Erzählung
gerichtete >>inhaltliche<< Kategorie, in der sich Erlebnisse dann
ausformen, sofern Erwartetes oder Erwartbares von überraschenden Ergebnissen
durchkreuzt wird (Vgl. Merkel,
Johannes, 2000, S.196).
Da die Grundaussage der Botschaft durch den Unterschied
zwischen Anfang und Ende bestimmt wird, und die einzelnen Ereignisse in einer
Geschichte als Botschaft relevant erscheinen sollen, müssen der Anfang und das
Ende einer Geschichte aufeinander bezogen sein und entsprechend zusammenpassen.
Denn erzählt wird der Veränderungsprozess, die Transformation von Zustand A zu
Zustand B. Ereignisse bzw. Fragen oder ein gewisser Stand der Dinge müssen sich
während oder zum Ende der Geschichte aufgeklärt, beantwortet oder verändert
haben, damit der Zustand A, der sich zu Zustand B wandeln soll, eine Funktion
erhält. Das Herausheben des zentralen Ereignisses hängt demnach ebenfalls von
der Transformation ab, da diese dem zentralem Ereignis (der Anfangspunkt / das
Problem) seine Funktion verleiht (Vgl. Frenzel, Karolina / Müller, Michael /
Sottong, Hermann, 2006, S.79 u. 102).
Damit die Transformation selbst für den Zuhörer der
Erzählung plausibel erscheint, müssen die einzelnen Schritte bzw. Geschehnisse,
die von A über die Transformation zu B führen, im Sinne einer logischen, kausal
verknüpften Abfolge der Ereignisse aufeinander bezogen sein (Vgl. Frenzel,
Karolina / Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.109). Das heißt, die
Handlungselemente müssen auseinander hervorgehen, und jeden einzelnen Schritt
als die unausweichliche Folge des vorhergegangenen Schritts erscheinen lassen. Bezogen
auf die beiden Ebenen der Wahrnehmung, d.h. bezogen auf die psychische
Innenwelt und der jedem Individuum verbindlich erscheinenden äußerlichen Welt,
heißt das, ungewöhnliche Ereignisse (z.B. phantastischer Einzug), verstanden
als psychische Bilder, die in den gesellschaftlichen Alltag einbrechen, in die
Welt der sozialen Wahrnehmung einzufügen bzw. in den geregelten Lauf der Dinge
einzugliedern (Vgl. Merkel, Johannes, 2000, S.209). Dazu MERKEL: „Auf den Einfall, der die
Erzählung in Gang setzt, oder das seltsame Erlebnis, das sie auslöst, folgt der
Versuch, diese disparaten Elemente miteinander zu verknüpfen und in ein
ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Erzählungen versetzen die soziale Erfahrung
der Erzähler mit den inneren Strebungen und Phantasien oder beleben, wenn wir
mehr auf fiktionales Erzählen abheben, die phantasierten Aktivitäten mit den
Figuren und Verhaltensweisen, die wir täglich wahrnehmen. Ob eine Geschichte
gelingt, hängt davon ab, wie genau wir beide Ebenen unserer Wahrnehmung
miteinander zu verzahnen verstehen, wie weit sie sich gegenseitig durchdringen
oder nebeneinander stehen bleiben.“ (Vgl.
Merkel, Johannes, 2000, S.200)
Gut erzählte Geschichten enthalten eine klare Botschaft,
wobei ein und dieselbe Geschichte verschiedene Botschaften vermitteln kann, je
nachdem, in welchem Kontext die Geschichte erzählt wird (Vgl. Frenzel, Karolina
/ Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.64-65 u. 67).
Die pragmatisch ausgerichtete (handlungsorientierte) Methode
des Erzählens versteht sich als Methode des offenen Wissens- und
Gedankenaustauschs und ermöglicht den Lernern, aus Sicht der
systemisch-konstruktiven Didaktik, einen offenen Lernprozess unter den
Perspektiven eines konstruktiven, re- und dekonstruktiven Lernens (offener
Lernprozess auf der Basis des Findens, Entdeckens und
Enttarnens/Relativierens). Neben der unbedingten Form des freien und lebendigen
Erzählens und dem Merkmal einer kreisförmigen Sitzkonstellation (Erzählkreis),
die in allen denkbaren Erzählsituationen zugegen sein sollte, lassen sich die
Erzählwerkstattarbeit und das Gespräch, als zwei weitere integrale
Bestandteile, die die Methode prägen und mitbestimmen, ausmachen. Die
Erzählwerkstattarbeit muss dabei als ein potentieller Bestandteil, das Gespräch
als ein zum Erzählen im symbiotischen Verhältnis stehender Bestandteil,
verstanden und aufgefasst werden [Verhältnis
gegenseitigen Nutzens: Vom Erzählen zum Gespräch, um über das Gespräch zurück
in ein >>in das Gespräch eingebettetes Erzählen<< zu gelangen]
(Zum Merkmal des Erzählkreises und zum potentiellen Bestandteil der
Erzählwerkstatt siehe Punkt 4/Darstellung).
Über eine gesellige Runde des Erzählens von Geschichten kann
eine angenehme Lernatmosphäre, welche als notwendige Voraussetzung zum Aufbau
nachhaltigen Wissens gegeben sein muss, geschaffen werden. Über die enge
Verbundenheit der Methode des Erzählens mit einem Erzählkreis und einer
Erzählwerkstatt, schafft die Methode eine konsequent gestaltete und wider
erkennbare, d.h. im Zuge dessen eine motivierende Lernumgebung, in der die
Lerner ein selbsttätiges und selbst bestimmendes/lernerorientiertes Lernen,
d.h. ein auf Partizipation ausgelegtes und auf Freiheit hin angelegtes Lernen,
praktizieren können. Darüber hinaus ermöglicht die Methode des Erzählens über
die symbiotische Verbundenheit mit dem Gespräch ein diskursives, d.h. ein auf
offene Dialoge ausgerichtetes Lernen, indem die Lerner in jeglichen Erzählsituationen,
d.h. in einer gemeinsamen Praxis (Erzählwerkstattarbeit incl.), miteinander
interagieren (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.24-25/162 u. 208-209). Der Sozialbezug gilt dabei als
grundlegende Bedingung zur Entwicklung der Lerner und ist dabei von hoher
Bedeutung, um anregende und akzeptierende Geselligkeit herzustellen und das
Leben und Lernen als gemeinsame Aufgabe zu verstehen (Vgl. Bartnitzky, Horst,
2000, S.19).
Lernen findet immer in bestimmten Situationen und Kontexten
statt (Kontext- und situationsbezogenes Lernen). Geschichten erzeugen bestimmte
Situationen, wobei ferner die Struktur von Geschichten, d.h. dass in
Beziehungssetzen von Elementen und Faktoren als erkennbarer Zusammenhang, den
Lernern ein erleichtertes (Lern-)Verständnis erlaubt. Zugleich kommt die
Methode des Erzählens dem produktiven Denken, welcher nach WERTHEIMER in den
Bereich der Kreativität zu verorten und durch konstruktive Tätigkeiten
charakterisiert ist, entgegen. Nach WERTHEIMER gibt es im Denken die Tendenz
Unklarheiten und Unordnungen aufheben zu wollen, worüber aus
konstruktivistischer Sicht passende (nicht richtig oder falsch) Lösungen
gesucht und konstruiert werden. Das Hören wie auch das Kreieren und Erzählen
eigener Geschichten ermöglicht den Lernern dabei eigene Gedanken zu entwerfen,
um das Gehörte bzw. den Gedanken im Kreieren und späteren Erzählen plausibel
und zu einer passenden (ganzheitlichen) Gestalt zu konstruieren, d.h.,
Unvollständiges in der Suche nach Prägnanz durch konstruktive Eigenlösungen zu
vervollständigen. Ein auf Eigenlösungen gerichtetes produktives Denken und
kreatives Lernen bedarf nach WERTHEIMER im Weiteren eines Antriebs, welcher
sich in einem zur Verfügung gestellten Raum des Einfalls (Finden, Entdecken und
Enttarnen/Relativieren als kreativer Prozess) auf Basis innerer Spannung und
starker Emotionen in Form eigener Betroffenheit (Staunen) zeigt (Emotionale
Reaktion = Emotionales Lernen). Die
emotionale Reaktion des Staunens wiederum erzeugt bei den Lernern Neugier,
welches nach GUILFORD als
grundlegendes Motiv kreativen Lernens ausgemacht werden kann. Geschichten berücksichtigen dabei
immer den affektiven und kognitiven Bereich des Lernens, was für ein
ganzheitliches Lernen erforderlich ist. Geschichten enthalten einen
Ereigniskern und sind dabei immer problemorientiert. Geschichten ermöglichen
es, einen entsprechend großen Kontrast, d.h. eine Differenz von Bekanntem und
Unbekanntem, welches von den Lernern als spannendes Element entdeckt, und im
Weiteren bei den Lernern das Begehren und die Neugierde auf den Lerngegenstand
weckt, zu erzeugen. Bauen Geschichten auf bereits Bekanntes auf, und werden die
Lerner dabei gleichzeitig mit etwas Neuem konfrontiert, werden darüber sowohl
vorhandene kognitive wie auch emotionale Muster verstört. Dadurch werden die
Lerner in ein Staunen versetzt, welches wie weiter oben bereits angedeutet, die
Neugier weckt und damit den kreativen Prozess fördert. Letzteres geschieht im
Sinne eines divergenten Denkens, welches das Denken in und aus vielen
Richtungen bzw. Perspektiven oder Blickwinkeln, in Einbezogenheit des
Imaginären, berücksichtigt (offener Gedanken- und Wissensaustausch) (Vgl.
Reich, Kersten, 2006, S.197-199).
Lernen geschieht über Kommunikation, d.h. über die
Interaktion in Lehr- und Lernprozessen. Interaktionen der Lerner zwischen sich
und dem Lerngegenstand, der Lerner untereinander und zu der Lernperson, gelten
dabei als entscheidende Faktoren sinnerfüllten und erfolgreichen Lernens (Vgl.
Reich, Kersten, 2006, S.24 u. 31). Als einer der wichtigsten Grundsätze in der
Methode des Erzählens zählt der zur Verfügung gestellte Raum und die zur Verfügung
gestellte Zeit, um im Anschluss einer gehörten bzw. vorgetragenen Geschichte
untereinander in einen Dialog zu treten. Hierbei sollten Themen, übermittelt in
Form einer Geschichte, lediglich angeschnitten und nicht abgehandelt werden
bzw. sollte versucht werden, die Lerner in einen dialogischen Austausch ihrer
je individuellen Eindrücke, Wahrnehmungen und Gefühle bezüglich des Inhalts
hineinzuführen, um diese zu erläutern und zu erörtern (Vgl. Frenzel, Karolina /
Müller, Michael / Sottong, Hermann, 2006, S.32 u. Claussen, Claus, 2006, S.14). In Gesprächen verständigen sich soziale Gruppen, Gespräche
kennzeichnen dabei immer Aushandlungs- und Diskussionsprozesse (Vgl. Reich,
Kersten, 2006, S.24). Über das
Erzählen können gemeinschaftlich Erlebnisse und Erfahrungen Anderer erkannt und
sich in Folge dessen gemeinschaftlich in Gesprächen darüber verständigt werden.
Dabei orientieren sich soziale Gruppen an gemeinsamen Inhalten oder
verständigen sich gemeinschaftlich über einen Aushandlungsprozess über Sinn und
Werte, d.h. über die je individuelle Sinngebung, welches zu einer
wechselseitigen Bereicherung oder Abgrenzung führt (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.48). Gespräche gelten somit als Basis und Ausdruck geistiger
Gemeinschaft und dienen ihrer Bestätigung und Klärung bzw. dem Erhalt und der
Festigung von Beziehungen, indem sie Missverständnisse beseitigen und
Misstrauen abbauen (Vgl. Weisgerber,
Bernhard, 1983, S.247). MICHAEL
SCHEFFEL führt aus: „Berücksichtigt man, dass jede Erzählung immer auch einen
kommunikativen Akt darstellt, so dient das Erzählen unterschiedlicher Arten von
großen oder kleinen Geschichten aber auch dazu, soziale Beziehungen
herzustellen, zu vervielfältigen und qualitativ zu differenzieren. Das Erzählen
ermöglicht dem Menschen die Stiftung und Erhaltung sozialer Gemeinschaften
sowie die Ausdifferenzierung der Identität von Individuen und Kollektiven.“
(Vgl. Scheffel, Michael, In: Der Deutschunterricht H2 (2005) S.2-3)
In der systemisch-konstruktiven Didaktik ist eine gemeinsame
Wissensaneignung (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.209), und wie weiter oben
beschrieben, explizit in der Methode des Erzählens, über einen gemeinsamen und
offenen Gedanken- und Wissensaustausch, erwünscht. Dabei geht es in der
Beziehungsdidaktik darum, gemeinsam ein Problem zu erfahren und zu erkennen,
und dessen Lösungen individuell oder im Team, über eine offene und
handlungsorientierte, d.h. über eine wertschätzende und lösungsorientierte
Interaktion, zu finden (Vgl. Reich, Kersten, 2006, S.26). Werden Geschichten in einen authentischen und damit
lebensweltbezogenen Kontext eingebettet, können die Lerner das Problem bzw. das
Ereignis unmittelbar erleben, gemeinschaftlich erfahren und das Problem als
bedeutsame Situation erfassen. Über die Bewusstmachung des Problems kann dessen
Lösung und Lösungsweg im Anschluss der Geschichte in Gruppenarbeit erlebend und
erfahrend bearbeitet werden (Erzählwerkstattarbeit), worüber die geschaffene
Situation zu einer wichtigen bzw. sinnstiftenden Begründung des Lernens für die
Lerner wird.
Im Hören von Geschichten identifizieren sich die Lerner mit
den Akteuren und Ereignissen (mit der Handlung) einer Geschichte oder grenzen
sich von diesen ab, worüber Geschichten eine Hilfestellung bei der Erschließung
der eigenen Lebenswelt bieten. Indem sich die Lerner beim Hören einer
Geschichte ihr eigenes Bild von der Welt machen, stellen sie Vergleiche
zwischen sich und der Handlung her. Es wird untersucht und verglichen,
einhergehend tritt reflexiv eine Beobachtung des eigenen Systems und der
Beziehung zur Umwelt ein (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S.13), welches die
Methode des Erzählens zu einer Methode der Selbstbeobachtung bzw. Selbstreflexion
werden lässt. Wahrnehmungen kennzeichnen dabei subjektive Wirklichkeiten
(subjektive Wirklichkeitskonstruktionen) und sind entsprechend kein
universelles Konstrukt, sondern jeweils vermittelt durch die
Sozialisationserfahrung eines bestimmten kulturellen Raums und damit immer
beeinflusst durch konventionellen Druck (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.20-21).
Das heißt, dass hinter jeder Beobachterperspektive (Blickwinkel) ein
kulturhistorischer Hintergrund, bestehend aus spezifisch kulturellen Inhalten,
eingreift, dem die Beobachter in ihrer Wahrnehmung und Interpretation
(Beobachtung) unterlegen sind (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.54 u. 59).
Wahrnehmungen und Interpretationen bzw. subjektive Wirklichkeiten sind somit
von der Erfahrung her (selektives Element = emotionale Erlebnisse,
internalisierte Verhaltensmuster und Kenntnisstand) beeinflusst, wobei neben
dem Element der Erfahrung, das jeweilige Element des individuellen Empfindens
(perspektivisches Element = Wünsche und Erwartungen) und der sozialen Wahrnehmung
(zweckorientiertes Element = Konventionen der Lebenswelt, Übernahme von
Rollenkonzepten und soziale Erwartungen) auf die subjektive
Wirklichkeitskonstruktion Einfluss nimmt (Vgl. Reich, Kersten, 2005, S.21ff. u.
28). Werden von einem Lerner, im eigenen Erzählen, persönliche Erfahrungen und
Einschätzungen oder Empfindungen mit in die Geschichte hineingebracht, müssen diese subjektiven Äußerungen
bezüglich der Geschichte von den anderen Lernern in einen zusammenhängenden
Kontext gebracht werden. Da dieser Kontext nicht immer bekannt ist, ergibt sich
auch hier die Möglichkeit, untereinander in einen Dialog zu treten, um
Unverstandenes zu klären bzw. aufzuklären. Diese klärenden Gespräche fördern
das Verstehen und Tolerieren anderer Auffassungen und Mentalitäten und bauen
Misstrauen ab, da individuelle Interpretationen und Einschätzungen sozial ein-
und rückgebunden sind, und somit erlernt wird, andere in ihren Äußerungen
verstehen zu können oder selbst verstanden zu werden bzw. Neues zu erfahren
oder selber Neues erzählen zu können. Über die soziale Ein- und
Rückgebundenheit der je individuellen Bedeutungen, Interpretationen und
Einschätzungen, können Lerner erfahren, dass andere Lerner Erzählungen und
Beiträge (Inhalte) anders empfinden und wertschätzen (multiperspektivisch),
worüber die Lerner die Möglichkeit erhalten, Gefühle, Meinungen, Gedanken,
Einschätzungen und Erfahrungen auszutauschen und sich über das jeweils
Besondere bzw. über die subjektive Sinngebung von Inhalten auseinander zu
setzen. Sprachhandelnd wird dabei an den Erlebnissen und Erfahrungen anderer
praktiziert, welches den Lernern bei der Verständigung, Orientierung und
Sinnsuche hilft (Vgl. Claussen, Claus, 2006, S. 48/50-51 u. 78), d.h. neben dem
Erlernen, andere Vorstellungen und Absichten zu respektieren und zu tolerieren,
sich seiner Selbst über die Vorstellungen anderer bewusst zu werden, welches
die Methode des Erzählens zu einer Methode der Fremdbeobachtung und
Fremdreflexion werden lässt.
Summa summarum erweitern sich im sozialbezogenen Unterricht
über die Methode des Erzählens die Erfahrungen der Lerner durch die Lerner
selbst (Interaktions-Lernen unter Gleichaltrigen), da es über die Wahrnehmung
der je individuellen Lebenswelt zu einem dialogischen Gedankenaustausch, und
darüber zu neuen Aspekten, neuen Sichtweisen und Themen, führt (Vgl.
Bartnitzky, Horst, 2006, S.247). Individuelle Bedeutungen, Deutungen,
Interpretationen, Empfindungen, Wertschätzungen und Einschätzungen, d.h. fremde
Weltdeutungen und Lebensbilder (Sinngebungen) können im Vergleich mit
Gleichaltrigen, die ihrerseits einen Vergleich mit der Handlung anstellen, und
zu anderen Ergebnissen kommen, getroffen werden (Vgl. Claussen, Claus, 2006,
S.11 u. 49-51). KONRAD EHLICH äußert sich wie folgt: „[…] Schule ist heute geprägt
von den vielfältigen Kulturen. Die Vergemeinschaftung von Weltwissen, das
Teilen von Umgangsweisen mit einer differenzierten, vielfältig gebrochenen und
multipel gewordenen Wirklichkeit geschieht in der alltäglichen Kunst des
Erzählens. Stiftung von Solidarität ereignet sich durch die gemeinsame
Erzählerfahrung. So ist das Erzählen eine zentrale Ressource für die soziale
Interaktion und für das Verstehen.“ (Vgl. Ehlich, Konrad, In: Grundschule H.2
(2004) S.44)
Selbst besser verstanden zu werden wie auch selbst andere
besser zu verstehen, beinhaltet Selbstfindung, womit das Gespräch über eine
Erzählung, und das, was im Gespräch als Prozess sprachhandelnder
Auseinandersetzung mit den Anderen darüber hinausgeht, eine identitätsbildende
Funktion erhält. Dabei reicht es nicht aus, lediglich auf der
grammatisch-semantischen Ebene verstanden zu werden (das Verstehen von Sätzen)
oder andere auf der grammatisch-semantischen Ebene zu verstehen, sondern müssen
Äußerungen der jeweils Beteiligten auch auf der pragmatischen Ebene erfasst
werden, d.h. verstanden werden, wie die Äußerung im Sinngehalt gemeint ist. Für den Prozess der
Selbstverwirklichung eignet sich somit das Anschlussgespräch einer Geschichte,
womit neben den persönlichen Ansichten auch die Verhaltensweisen im Gebrauch
der Sprache und in der Kommunikation miteinander verglichen und unterschieden,
als auch durch die Reaktionen der Anderen, das eigene Wirken auf Andere in den
Äußerungen hinterfragt und bewusst gemacht werden kann (Provozieren meine Äußerungen?
Welche Reaktionen rufen sie hervor?), worüber die Lerner im Weiteren die
Möglichkeit erhalten, ihr eigenes Wirken auf Anregungen, Bestätigungen oder
Kritiken zu hinterfragen (Wie gehe ich mit Anregungen, Bestätigungen oder
Kritik um?) (Vgl. Weisgerber,
Bernhard, 1983, S.248-253).
Die Methode des Erzählens lässt sich aus sprachdidaktischer
Sicht als eine rhetorische Methode, die die pragmatische Funktion des Erzählens
in den Vordergrund, und die schöne Form des Redens lernspezifisch als sekundäre
Instanz einhergehen lässt, beschreiben. Durch das Erzählen selbst und den
Gesprächen soll es nach sprachdidaktischen Kriterien bei den Lernern primär zur
Handlungsauslösung des Sprechdenkens und Hörverstehens innerhalb verschiedener
Erzähl-, Gesprächs- und Redeformen (Kommunikationsformen) kommen (Vgl.
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.10-12). Damit die Lerner eigenaktiv sprachhandeln,
ist es bedeutsam, für die Lerner sinnvolle Sprachlern-Situationen zu schaffen.
Geschichten bieten im Zusammenschluss mit dem Gespräch komplexe
Handlungssituationen, in denen Sprechakte nötig werden. Geschichten wecken das
Interesse und verweilen für die Lerner nicht als isolierte Erzähl-, Sprach- und
Sprechübungen, sondern bieten durch ihren situativen Bezug eine Begründung für
das Erzählen, Sprechen und sprachliche Handeln, worüber das Üben eigenen
Erzählens und Sprechens aus der Verwendung heraus motiviert ist. Dabei aktiviert das Erzählen und das
Gespräch die sprachlichen Möglichkeiten der Lerner und regt die Lerner dazu an,
über das Gespräch die Möglichkeiten des Sprachhandelns im Sinne des
sprachlichen Austauschs, der sprachlichen Erarbeitung und der sprachlichen
Verständigung weiterzuentwickeln (Vgl. Bartnitzky, Horst, 2000, S.17-18 u. 21
u. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.49).
Das Erzählen von Geschichten und die im Anschluss oder in
Unterbrechung des Erzählens geführten Gespräche dienen den Lernern dazu,
Sprache bzw. neue Möglichkeiten im Gebrauch von Sprache kennen zu lernen. Die
Lerner können sich beim Erzählen von Geschichten in sprachliche Mittel und
Möglichkeiten hineinfühlen, und sich neue nutzbare Wörter, Redewendungen,
Sätze, Erzählmuster und -schemata zur persönlichen Sprachentwicklung aneignen,
um sie im Weiteren selbst anzuwenden. Darüber, dass Lerner über ihren
Lernprozess sprechen bzw. zusammen über Lernprozesse gesprochen wird, werden
unterschiedliche Funktionen von Gesprächen (Kommunikationsarten und -formen) kennen gelernt und jeweilige
Kompetenzen in Kommunikation erworben und/oder erweitert, um in Folge dessen zu
erfahren, verschiedenartige
Kommunikationsformen in ihrer jeweiligen Gültigkeit einzuschätzen (Vgl.
Claussen, Claus, 2006, S.12 u. 78-79). Anschlussdiskussionen (z.B.
Aushandlungsprozesse) dienen dabei der Entwicklung einer humanen
Gesprächskultur und stehen als Übungs- und Erfahrungsfeld symmetrischer
Kommunikation, in der die Lerner lernen, sich gegenseitig als
Gesprächsteilnehmer ernst nehmen und einander aktiv zuhören zur Verfügung (Vgl.
Bartnitzky, Horst, 2006, S.27-28). „Das Bemühen, sich einem symmetrischen
Interaktionsverhältnis im Gespräch anzunähern, gehört zu den Voraussetzungen
wie zu den Zielen der Gesprächserziehung. Es ist zugleich Ausdruck eines
demokratischen Gesellschaftsverständnisses, nach dem die Ausübung von Macht
durch wenige zu Gunsten der Mitentscheidung und Mitverantwortung Aller
zurückgedrängt werden soll.“ (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.253)
Die Demokratie lebt von der Partizipation ihrer
Bürger, und damit von der Mündigkeit jedes Einzelnen. In einer demokratischen
Gemeinschaft sind Entscheidungen gefordert, die durch Konsensfindung erbracht
werden. Um mitreden und mitentscheiden zu können, bedarf es nach der heute
vertretenen Demokratiethese, dass Mündlichkeit einen erheblichen Beitrag zur
Mündigkeit leistet, die Ausbildung sprachlicher Kompetenz. In ADORNOS Worten: „Mündig
ist der, der für sich selber spricht, weil er für sich selbst gedacht hat und
nicht bloß nachredet, der nicht bevormundet wird.“ (Vgl. Adorno, 1971, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005,
S.14) Nach GEISSNER äußert sich Gesprächskompetenz wie folgt: „Gesprächsfähig
ist, wer im situativ gesteuerten, personengebundenen, sprachbezogenen,
formbestimmten, leibhaft vollzogenen Miteinandersprechen - als Sprecher wie als
Hörer - Sinn so zu konstruieren vermag, dass damit das Ziel verwirklicht wird,
etwas zur gemeinsamen Sache zu machen, der zugleich imstand ist, sich im
Miteinandersprechen und die im Miteinandersprechen gemeinsam gemachte Sache zu
verantworten.“ (Vgl. Geißner, 1981, In: Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.14)
Die Lerner sollen demnach in der Lage sein, ihre persönlichen Auffassungen und
Interessen wirkungsvoll zu versprachlichen, wie auch andere Auffassungen und
deren Argumente zu verstehen, kritisch zu verarbeiten und in die eigene
Strategie zur Konfliktlösung einzubeziehen. Hier wird von den Lernern verlangt,
sich in einem besonderen Maß an Sachlichkeit von der eigenen Position zu
distanzieren, um andere Interessen ins eigene Blickfeld nehmen zu können.
Politische Konflikte ergeben sich aus unterschiedlichen
politischen Konzepten, die, eng verbunden mit einer Verbesserung der
gesellschaftlichen Lage, zukunftsgedacht sind. Zukunftsentwürfe sind nur
denkbar über Sprache, und bedienen sich der Kreativität. Entsprechend bedarf es
auch aus politisch-pragmatischer Sicht sprachliche Kreativität (verstanden als
Entwürfe noch nicht verwirklichter Wirklichkeiten in Sprache, und nicht
verstanden als das Hervorbringen von Sätzen, die noch nicht gesagt oder gehört
worden sind) zu fördern, da sprachliche Ausdrucksweisen (Qualität der
sprachlichen Fassung) über die Verwirklichung von Zukunftsentwürfen, und damit
nach MARITA PABST-WEINSCHENK, die intersubjektive Akzeptanz von Ideen, immer
auf der wirksamen und für die anderen nachvollziehbaren Präsentation dieser
Ideen innerhalb eines Aushandlungsprozesses, entscheiden. Hierbei geht es nicht
um Objektivität sondern um Intersubjektivität, d.h. dass der oder die Gegenüber
(Gruppe) den eingebrachten Vorstellungen
zustimmen müssen, sofern sie Gültigkeit über den persönlichen Kreis hinaus
erlangen sollen. Je mehr Personen aus ihrer subjektiven Sicht den eingebrachten
Vorstellungen zustimmen können, umso größere intersubjektive Anerkennung und Gültigkeit
wird dabei erlangt (Vgl. Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.12-13).
In Bezug auf politische Zukunftsentwürfe und deren
Diskussionen sollen die Lerner zudem in der Lage sein, verschiedenartig
angewandte Mittel der politischen Sprache kritisch analysieren zu können (Vgl.
Weisgerber, Bernhard, 1983, S.59-62). Entsprechende Erzählungen dienen dazu,
die Lerner in die genannten Situationen hineinzuziehen, um sich z.B. in einer
im Anschluss dargestellten Podiumsdiskussion, sprachlich argumentativ zu üben,
Konfliktsituationen sprachlich zu bewältigen und diese spezifischen
Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. Neben den Aspekten des genauen
Zuhörens und Analysierens sieht Drach im Hören das sachlich-bereitwillige
>>Zuhörenkönnen<<, welches sich im anständigen Begegnen und Achtung
gegenüber der Überzeugung anderer zeigt (Vgl. Drach, 1932, In:
Pabst-Weinschenk, Marita, 2005, S.48).
Neben dem Aufbau sozialer Beziehungen, ihrer
Vervielfältigung und Differenzierung, der Ausdifferenzierung der eigenen
Identität und ihre Verortung in der Welt (Vgl. Scheffel, Michael, In: Der
Deutschunterricht H2 (2005) S.2-3), sieht KONRAD EHLICH des Weiteren im
Erzählen eine entlastende Funktion der Weltbewältigung bzw. Weltbemächtigung. Er
führt aus: „Im Erzählen werden die Erzählenden entlastet. Im Erzählen werden
Bedrohungen und Ängste für sie objektivierbar. Die narrative Distanz hilft
dazu, Abstand zu Ereignissen zu schaffen, die schwer zu verarbeiten sind. Indem
Solidarität gewonnen wird, werden sie erträglicher, […].“ (Vgl. Ehlich, Konrad,
In: Grundschule H.2 (2004) S.44) In Gesprächen findet über das wechselseitige
Rollenverhältnis des Senders und des Empfängers somit immer ein
Erkenntnisfortschritt statt, indem sich die jeweiligen Teilnehmer gegenseitig
anregen, kritisieren oder bestätigen sowie korrigieren. Über das Gespräch
lassen sich gleiche Problemlagen bzw. gemeinsame Probleme ausmachen, wobei die
gleiche Problemlage des Gegenübers zur sprachlichen Anstrengung und sprachlichen
Formulierung motiviert und befähigt (außerhalb einer Gesprächsituation nicht
findbar). Probleme, die von den
Lernern nicht in Worte gefasst werden können, finden über das Gespräch mit
anderen die Bereitschaft aufmerksamen Zuhörens, womit eine Motivation sprachlicher
Anstrengung einhergeht. Hierüber können von den Lernern untereinander
Formulierungen für das Problem, ggf. durch das Anbieten von Formulierungen,
gefunden werden. Über die Formulierung des Problems geht bei den Lernern die
Feststellung einher, dass das Problem artikuliert werden kann. Über die Sprache
bzw. den sprachlichen Begriff wird das Problem für die Lerner fassbar und damit
objektiviert. Hierüber tritt eine Distanz und damit eine Entlastung ein, da
dass bis dahin Unsagbare sagbar wird, und darüber eine Lösung des Problems
gefunden werden kann (Vgl. Weisgerber, Bernhard, 1983, S.247-248).